Der Prinz von Atrithau
Niederen Herren ernannten die Männer des Stoßzahns – vom Erfolg ihrer Landung geblendet, die ganz ohne Blutvergießen verlaufen war – Cnaiür zu einer Art König der Stämme, den sie allerdings Schlachtmeister nannten. Gefolgt von seinen Generälen und Offizieren verließ Conphas wutentbrannt die Beratung. Cnaiür nahm die Wahl wortlos an und wusste nicht recht, ob er stolz oder verlegen sein sollte. Sklaven mussten ihm eine eigene Standarte nähen, also etwas, das die Inrithi als heilig erachteten.
Hinterher traf Cnaiür auf Proyas, der allein im Dunkeln stand und auf die zahllosen Feuer der Heiden starrte.
»Das sind ganz schön viele«, meinte der Prinz leise. »Oder siehst du das anders, Schlachtmeister?«
Proyas verzog die Lippen zu einem Lächeln, doch Cnaiür sah ihn im Mondlicht die Hände ringen. Der Barbar war erstaunt, wie jung der Prinz wirkte, wie zerbrechlich. Erstmals schien er das katastrophale Ausmaß dessen zu begreifen, was sehr bald geschehen würde.
Wohin gehörte dieser junge Mann, dieses Kind? Wie würde es ihm in all dem ergehen?
Er könnte mein Sohn sein.
»Ich werde sie besiegen«, sagte Cnaiür.
Doch auf dem Weg zu seinem einsamen Lager an der windigen Küste des Meneanor-Meers ärgerte er sich über seine Worte. Warum hatte er sich dazu herabgelassen, einem Prinzen der Inrithi Zusicherungen zu geben? Schließlich war es ihm egal, wer starb und wer nicht – solange er nur beim Töten dabei war.
Ich bin ein Scylvendi!
Cnaiür von Skiötha, der grausamste Kämpfer auf Erden.
Später am Abend hockte er vor der schäumenden Brandung, wusch sein Breitschwert im Meer und dachte daran, wie er einst mit seinem Vater am nebligen Gestade des fernen Jorua-Meers gekauert und das Gleiche getan hatte. Er lauschte dem Donnern der fernen Brecher und dem Geräusch, mit dem die Wellen an den Strand schlugen. Er blickte über die leuchtende Weite des Meneanor-Meers und dachte darüber nach, wie völlig ohne Spuren sie war. Eine andere Art Steppe.
Was hatte sein Vater bloß über das Meer gesagt?
Als er dann seine Klinge für den kommenden Gottesdienst schärfte, trat Kellhus unvermittelt und geräuschlos aus dem Dunkel. Der Wind zerzauste ihm das strohblonde Haar.
Cnaiür grinste anzüglich. Irgendwie war er nicht überrascht.
»Was führt dich zu mir, Dûnyain?«
Kellhus musterte sein Gesicht im Feuerschein, und zum ersten Mal machte Cnaiür das nichts aus.
Ich weiß, dass du lügst.
»Meinst du, der Heilige Krieg wird siegen?«, fragte Kellhus.
»Der große Prophet weiß keine Antwort«, schnaubte Cnaiür verächtlich. »Sind andere mit dieser Frage zu dir gekommen?«
»Ja.«
Cnaiür sah ins Feuer. »Wie geht es meiner Beute?«
»Serwë geht es gut. Warum weichst du meiner Frage aus?«
Cnaiür lächelte höhnisch und beschäftigte sich wieder mit seiner Klinge. »Warum stellst du Fragen, deren Antwort du kennst?«
Kellhus sagte nichts, sondern stand wie etwas Jenseitiges vor einer Mauer aus Dunkelheit. Der Wind trieb ihm Rauch entgegen. Die Brandung donnerte und zischte.
»Du denkst, in mir sei etwas zerbrochen«, fuhr Cnaiür fort und streckte seinen Wetzstein den Sternen entgegen. »Aber da täuschst du dich. Du denkst, ich sei unbeständiger und unkalkulierbarer geworden und deshalb eher eine Bedrohung für deine Mission.«
Er sah von seinem Breitschwert auf und erwiderte den unergründlichen Blick des Dûnyain.
»Aber da täuschst du dich.«
Kellhus nickte, doch das war Cnaiür egal.
»In dieser Schlacht«, sagte der Dûnyain, »musst du mich instruieren. Du musst mich den Krieg lehren.«
»Ich würde mir eher die Kehle durchschneiden.«
Eine Böe fuhr in sein Feuer und wehte ihm Funken über die Mähne. Das fühlte sich gut an – als würde ihm eine Frau durchs Haar streichen.
»Ich werde dir Serwë geben«, sagte Kellhus.
Das Schwert fiel Cnaiür klirrend vor die Füße. Einen Moment lang hatte er das Gefühl, einen Eisknebel im Mund zu haben.
»Warum sollte ich deine schwangere Hure haben wollen?«, stieß er verächtlich hervor.
»Weil sie deine Beute ist«, sagte Kellhus. »Außerdem trägt sie dein Kind unterm Herzen.«
Warum sehnte er sich so nach ihr? Sie war ein eitles, flachgeistiges und verwahrlostes Kind – mehr nicht! Cnaiür hatte gesehen, wie Kellhus sie benutzte und ausstaffierte. Er hatte gehört, was er sie zu sprechen hieß. Kein Werkzeug war zu unbedeutend für einen Dûnyain, kein Wort zu schlicht, kein Blinzeln zu kurz. Er hatte sich den
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