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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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der ihm laufend Lehren. Dessen war Achamian beinahe sicher, obwohl er nicht die leiseste Ahnung hatte, wozu diese Lehren gut sein sollten. Vielleicht waren sie ja Zeichen von Vertrauen? Oder von Offenheit? Indem er Kellhus unterrichtete, war der Hexenmeister selbst wieder zum Schüler geworden. Und seine Erziehung war sicher noch nicht beendet.
    Doch im Laufe der Zeit steigerte diese Erkenntnis seine Qual nur. Eines Abends setzte er nicht weniger als drei Mal dazu an, seine Ordensbrüder zu benachrichtigen, brach die einschlägigen Beschwörungsformeln aber jedes Mal ab und erging sich in halblauten Flüchen und Selbstvorwürfen. Dabei mussten die Mandati doch informiert werden! Schließlich war ein Anasûrimbor zurückgekehrt! Die Prophezeiung des Celmomas war mehr als eine belanglose Arabeske aus Seswathas Träumen. Viele hielten sie sogar für die zentrale Botschaft und für den eigentlichen Grund dafür, dass Seswatha in die Alpträume seiner Schüler eingegangen war. Diese Prophezeiung war auch als Große Warnung bekannt. Und doch zögerte Drusas Achamian, mehr noch: Er spielte va banque. Gütiger Sejenus – er setzte seinen Orden, die Menschheit, die ganze Welt auf einen Mann, den er erst seit zwei Wochen kannte!
    So ein Irrsinn! Das Weltende stand bevor, und er – Drusas Achamian, ein schwacher, törichter Einzelner – spielte va banque! Wer war er denn, solche Risiken einzugehen? Mit welchem Recht maßte er sich das an? Mit welchem Recht?
    Ich warte noch bis morgen Abend, dachte er und strich sich durch Bart und Haupthaar – einen Tag warte ich noch…
    Am nächsten Morgen traf Kellhus ihn beim allgemeinen Aufbruch. Stunden vergingen, ehe Achamian nachgab und Fragen des Dûnyain beantwortete. Zu viele unausgesprochene Dinge plagten ihn.
    »Du machst dir Sorgen über unser Schicksal«, meinte Kellhus schließlich mit ernster Miene. »Du fürchtest das Scheitern des Heiligen Kriegs…«
    Natürlich fürchtete Achamian um den Heiligen Krieg. Er hatte zu viele Niederlagen erlebt, jedenfalls in seinen Träumen. Aber trotz der vielen tausend Bewaffneten ringsum war er in Gedanken ganz woanders – auch wenn er sich das nicht anmerken ließ. Er nickte blicklos, als machte er ein schmerzliches Geständnis, das noch mehr unausgesprochene Vorwürfe und Selbstgeißelungen nach sich zöge. Mochten kleine Betrügereien sonst auch selbstverständlich und notwendig sein: Kellhus gegenüber… zwickten sie.
    »Seswatha…«, begann Achamian zögernd, »Seswatha war beinahe noch ein Junge, als es zu den ersten Kriegen gegen Golgotterath kam. Damals begriffen nicht einmal die Weisesten, was dabei auf dem Spiel stand. Wie hätten sie es auch erkennen sollen? Sie waren Norsirai und beherrschten die Welt. Ihre barbarischen Nachbarn waren unterworfen, die Sranc in die Berge vertrieben. Nicht einmal die Scylvendi wagten es, ihren Zorn zu erregen. Ihre Poesie, ihre Hexenkunst und ihr Handwerk galten in ganz Eärwa als vorbildlich, selbst bei den Nichtmenschen, die sie einst unterrichtet hatten. Fremde Abgesandte brachen angesichts der Schönheit ihrer Städte in Tränen aus. An weit entfernten Höfen wie Kyranae und Shir eiferte man ihren Sitten, ihrer Küche, ihrer Mode nach…
    Wie wir in der Gegenwart Maßstäbe setzen, so waren sie das Vorbild ihrer Zeit. Im Vergleich zu ihnen war alles gering, und wo sie auftauchten, fiel ein Schatten auf das, was sich zuvor noch prächtig hatte dünken dürfen. Selbst als Shauriatas – der Hochmeister der Rathgeber – den Nicht-Gott erweckt hatte, glaubte niemand ernsthaft, das Ende sei nah. Jede Niederlage schien absurder als die vorige. Selbst die Vernichtung der Kûniüri, der mächtigsten Nation der Norsirai, konnte die Überzeugung kaum erschüttern, irgendwie würde der Hohe Norden sich schon behaupten. Erst nach einer Kette gewaltiger Katastrophen begriffen sie allmählich…«
    Achamian hatte die Hand schützend vor die Augen gelegt, brachte es dabei aber dennoch fertig, den Prinzen anzusehen. »Ruhm ist keine Gewähr dafür, weiterhin Ruhm zu ernten. Das Undenkbare ist stets möglich.«
    Das Ende ist nahe… Ich muss mich entscheiden.
    Kellhus nickte und blinzelte, da die Sonne ihn blendete. »Alles hat seinen Preis«, sagte er. »Jeder Mensch…«, fuhr er fort und musterte Achamian unverhohlen, »… und jede Entscheidung.«
    Der Hexenmeister fürchtete kurz, ihm stockte das Herz. Das kann doch nur Zufall gewesen sein!
    Unvermittelt bückte sich Kellhus, hob einen kleinen

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