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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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den gebildeten Inrithi gerade der letzte Schrei war,und Achamian erinnerte sich wieder daran, seine Himmlischen Aphorismen bei Kerzenlicht in Xinemus’ Strandvilla gelesen und das exotische Zartgefühl dieses Mannes ausgekostet zu haben, während der Wind vor dem verschlossenen Fenster durch die Obstgärten fegte und Pflaumen wie Hagelkörner auf den Boden prasseln ließ. Und als Kellhus den Hexenmeister nach seiner Interpretation der Ordenskriege fragte, fiel Achamian wieder ein, wie er sich mit seinem Lehrer Simas auf den schwarzen Zinnen von Atyersus gestritten, sich für ein Wunderkind gehalten und die Sturheit alter Männer verflucht hatte.
    Fragen über Fragen. Keine Wiederholung. Kein Thema, das zweimal traktiert wurde. Und bei jeder Antwort glaubte Achamian, Vermutungen gegen Einsicht zu tauschen, kalte Abstraktion gegen kostbare Lebenserinnerungen. Ihm wurde klar, dass Kellhus lernend lehrte – und einen solchen Schüler hatte er noch nie gehabt. Selbst Inrau war nicht so gewesen, geschweige denn Proyas. Je mehr Fragen Achamian dem Dûnyain beantwortete, desto mehr bekam er den Eindruck, Kellhus sei in der Lage, ihm zu sagen, warum und zu welchem Zweck er auf der Welt sei.
    Wer bin ich?, dachte er oft, wenn er der melodiösen Stimme von Kellhus lauschte. Und was siehst du?
    Und dann waren da die Fragen zu den Alten Kriegen. Wie den meisten Ordensmännern der Mandati fiel es Achamian leicht, die Apokalypse zu erwähnen, schwer, sehr schwer hingegen, darüber zu reden. Nicht nur wegen der Qual, die darin lag, den Schrecken erneut zu durchleben. Über die Apokalypse zu sprechen bedeutete, gewaltigem Kummer Worte abzuringen – eine beinahe unmögliche Aufgabe. Außerdem verspürte er Scham, als würde er einer erniedrigenden Obsession frönen. Er hatte es zu oft erleben müssen, dass Menschen ihn ausgelacht hatten, wenn er ihnen mit seinen Träumen gekommen war.
    Bei Kellhus aber wurde die Lage noch durch die Abstammung erschwert. Er war ein Anasûrimbor. Wie beschreibt man dem ahnungslosen Vorboten das Weltende? Manchmal fürchtete Achamian, diese Ironie schnüre ihm die Kehle zu. Und immer wieder fragte er sich: Warum hintergehe ich meinen Orden?
    »Erzähl mir vom Nicht-Gott«, bat Kellhus eines Nachmittags.
    Wie so oft, wenn es durch flaches Weideland ging, hatte der Heereszug die Straße verlassen und schwärmte über die Wiesen. Einige Männer legten sogar Sandalen oder Stiefel ab und fingen bald an zu tanzen, als würden die nackten Füße sie wieder zu Kräften kommen lassen. Achamian, der über ihre Possen gelacht hatte, wurde von der Bitte des Dûnyain überrumpelt.
    Ihn schauderte. Vor nicht allzu langer Zeit hatte sich der Name Nicht-Gott noch auf etwas Fernes und Totes bezogen.
    »Du stammst aus Atrithau«, antwortete Achamian, »und doch soll ich dir etwas über den Nicht-Gott erzählen?«
    Kellhus zuckte die Achseln. »Wir lesen die Sagas – genau wie ihr. Unsere Sänger singen ihre unzähligen Lieder – wie eure Sänger auch. Aber du hast diese Dinge tatsächlich gesehen!«
    Nein, wollte Achamian sagen – Seswatha hat sie gesehen!
    Stattdessen blickte er in die Ferne, sammelte sich und ballte die Fäuste, die sich so leicht anfühlten wie Balsaholz.
    Du hast diese Dinge tatsächlich gesehen. Du…
    »Er hat, wie du vermutlich weißt, viele Namen. Im alten Kûniüri hieß er Mog-Pharau, woraus wir Nicht-Gott gemacht haben. Im alten Kyranae hieß er nur Tsurumah, der Gehasste also. Die Nichtmenschen von Ishoriol nannten ihn (seltsam poetisch, wie ihre Namen sind) Cara-Sincurimoi: Engel des unstillbaren Hungers. Ein guter Name. Die Welt kennt kein größeres Übel. Und keine größere Gefahr.«
    »Was ist er eigentlich? Ein unreiner Geist?«
    »Nein. Viele Dämonen haben auf Erden gelebt. Wenn die Gerüchte über die Scharlachspitzen stimmen, leben noch immer einige davon. Nein, er ist mehr und zugleich weniger…«
    Achamian verstummte.
    »Vielleicht«, meinte der Prinz von Atrithau vorsichtig, »sollten wir nicht darüber sprechen…«
    »Ich hab ihn gesehen, Kellhus. So deutlich jedenfalls, wie ein Mensch ihn sehen kann. Nicht weit von hier, auf den Ebenen von Mengedda, zogen die aufgeriebenen Heere von Kyranae und seinen Verbündeten erneut die Banner auf und waren entschlossen, im Kampf gegen den Feind zu sterben. Das ist zweitausend Jahre her.«
    Achamian lachte bitter und senkte den Kopf. »Ich hab ganz vergessen…«
    Kellhus beobachtete ihn aufmerksam. »Was hast du ganz

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