Der Prinz von Atrithau
hatte all seine Untergebenen, Diener und Sklaven weggeschickt und sich mit einem Krug Wein aus Shigek an einen polierten Mahagonitisch gesetzt. Erstmals schien ihm bewusst zu werden, was er verloren hatte.
Trotz seines hohen Alters war der Sapatishah-Gouverneur noch rüstig. Sein weißes, gemäß der Sitte der Kianene eingeöltes Haar war so voll wie das eines Jünglings. Er hatte ein markantes Gesicht, dem der lange Schnurrbart und die dünnen Zöpfe des Kinnbarts einen ernsten und weisen Ausdruck verliehen. Seine dunklen Augen glänzten unter nachdenklich wirkenden Brauen.
Er saß in einem hohen Turmzimmer der Zitadelle von Anwurat und hörte durch das schmale Fenster den Lärm der verzweifelten Schlacht und die Schreie seiner geschätzten Freunde und Anhänger.
Obwohl ein frommer Mann, hatte er in seinem Leben viele böse Taten begangen, wie das bei den Mächtigen unausweichlich war. Er dachte mit Bedauern an seine Sünden und wünschte sich, er hätte ein einfacheres Leben gehabt, das ihm weniger Annehmlichkeiten, aber auch weniger Belastungen gebracht hätte – und sicher nichts so Niederschmetterndes wie das, was er gerade erleben musste.
Ich habe meine Landsleute und meinen Glauben dem Untergang geweiht.
Mein Plan war gut, überlegte er. Ich habe den Götzendienern die Illusion vermittelt, ihr Gegner trete mit nur einer Schlachtlinie an, und ihnen das Gefühl gegeben, den Kampf zu bestimmen. Dann habe ich ihre rechte Flanke weit nach Norden abgedrängt und ihre Reihen nicht durch strapaziöse und sinnlose Attacken, sondern durch einen konzentrierten Angriff in der Mitte durchstoßen, der freilich nur eine Scheinattacke war. Dann habe ich ihre linke Flanke mit den Truppen von Cinganjehoi und Fanayal vernichten wollen.
Wie ruhmreich hätte das werden sollen!
Wer mochte seinen Plan vorausgesehen haben?
Vermutlich Conphas.
Alte Feinde sind alte Freunde – falls so ein Mann überhaupt ein Freund sein konnte.
Skauras langte unter seinen mit einem Schakal bestickten Umhang und zog das Pergament hervor, das der Kaiser von Nansur ihm geschickt hatte. Monatelang hatte er es an der Brust getragen, und nach der heutigen Katastrophe war das Schreiben von Ikurei Xerius III. vielleicht das Einzige, was die Götzendiener noch aufhalten konnte.
Alte Feinde sind alte Freunde.
Skauras las das Schreiben nicht. Das war nicht nötig. Die Götzendiener aber durften es nie und nimmer lesen.
Er hielt eine Ecke des Pergaments in die strahlende Flamme seiner Lampe und sah zu, wie es sich kräuselte und Feuer fing und die feinen Rauchfäden in die Luft stiegen, ehe sie zum Fenster hinauswehten.
Beim Einzigen Gott – es war ja noch hell!
Und sie blickten auf und sahen, dass der Tag noch nicht vergangen war und ihre Schande offen vor aller Augen lag… – Worte des Propheten. Mochte er ihnen gnädig sein.
Er ließ das Pergament los, als die Flammen es umzüngelten. Es zappelte ein wenig, als wäre es lebendig. Die Lackschicht des Tisches schlug Blasen und wurde schwarz.
Ein passendes Zeichen, überlegte der Sapatishah-Gouverneur bitter. Ein schwacher Vorschein künftigen Unheils.
Skauras trank mehr Wein. Die Götzendiener waren schon dabei, die Tür des Turms aufzurammen.
Sind wir alle todgeweiht?, fragte er sich.
Nein. Nur ich.
In sein letztes und frömmstes Gebet zu seinem Gott versunken, hörte er nicht, wie die Holztür zersplitterte. Erst als die Eroberer im Laufschritt über den gefliesten Boden des Turms trampelten, wurde ihm bewusst, dass es Zeit war, sein Schwert zu ziehen.
Er drehte sich um und trat dem Ansturm der Ungläubigen entgegen.
Es würde ein kurzer Kampf sein.
Als sie erwachte, hatte er ihren Kopf im Schoß und wischte ihre Wangen und Brauen mit einem feuchten Tuch ab. Die Laterne ließ die Tränen in seinen Augen glitzern.
»Was ist mit dem Baby?«, keuchte sie.
Kellhus schloss die Augen und nickte. »Dem geht es gut.«
Sie lächelte und begann zu weinen. »Wie hab ich dich bloß so wütend gemacht?«
»Das war nicht ich, Serwë.«
»Natürlich warst du das! Ich hab dich doch gesehen!«
»Nein. Du hast einen Dämon gesehen. Jemanden, der mein Gesicht angenommen hat.«
Plötzlich begriff sie. Was vertraut gewesen war, wurde fremd. Das Unerklärliche wurde plausibel.
Ein Dämon hat mich heimgesucht! Ein Dämon…
Sie sah ihn an und brach erneut in Tränen aus. Wie lange konnte sie weinen?
Aber …
Kellhus blinzelte. Er hat sich über dich hergemacht.
Sie würgte und presste die
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