Der Prinz von Atrithau
beschäftigt war; und dass vom Delta des Sempis bis tief in die Wüste hinein Gotteshäuser in Flammen standen.
Esmenet hatte den Rauch gesehen.
Sie saßen eine Weile schweigend und hörten dem hungrigen Brennen ihres Feuers zu. Wie immer war der Himmel wüstenklar, und das bestirnte Firmament schien unendlich. Der Mond ließ den Sempis silbern strahlen.
Wie viele Nächte hatte sie über den Himmel und die weite Landschaft nachgedacht? Darüber, dass sie sie klein erscheinen ließen, sie mit ihrer ungemeinen Gleichgültigkeit erschreckten und sie stets daran erinnerten, dass Herzen nur flatternde Fahnen waren? Zu viel Wind, und sie wurden in die große Nacht geweht. Zu wenig Wind, und sie hingen schlapp am Mast.
Welche Chance hatte Akka?
»Ich habe Nachricht von Xinemus bekommen«, sagte Kellhus schließlich. »Er sucht noch immer.«
»Es gibt also noch Hoffnung?«
»Hoffnung gibt es stets«, sagte er mit einer Stimme, die sie zugleich ermutigte und betäubte. »Wir können nur abwarten, was er herausfindet.«
Esmenet brachte kein Wort heraus. Sie sah Serwë rasch an, doch das Mädchen wich ihrem Blick aus.
Sie halten ihn für tot.
Sie wusste, dass Hoffnung sinnlos war. Aber Tod schien ein völlig unmöglicher Gedanke. Wie sollte man das Ende des Denkens denken?
Akka würde…
»Komm«, sagte Kellhus schnell und offen wie jemand, der sich eines neuen Ziels sicher ist. Er ging um ihr kleines Feuer herum und setzte sich – die Hände auf den Knien – neben sie. Mit einem Stock kratzte er ein seltsam vertrautes Zeichen auf den staubigen Boden. »In der Zwischenzeit bringen wir dir das Lesen bei.«
Sie hatte geglaubt, sich restlos ausgeweint zu haben, doch irgendwie…
Esmenet sah Kellhus an und lächelte unter Tränen. Ihre Stimme klang schüchtern und gebrochen.
»Ich wollte schon immer lesen lernen.«
Der nahtlose Übergang der Qual von der zweitausend Jahre alten Folterung Seswathas in den Verliesen von Dagliash ins Hier und Jetzt.
Der Schmerz von Brandwunden, aufgescheuerten Handgelenken und verrenkten Gliedern. Erst merkte Achami an gar nicht, dass er wach war. Es schien nur, als habe sich Mekeritrigs Gesicht in das von Eleäzaras verwandelt, als sei das unmenschlich schöne Antlitz des Verräters der Menschheit zur gefurchten und schnurrbärtigen Visage des Hochmeisters geworden.
»Ah, Achamian«, sagte Eleäzaras, »es tut gut, dich sehen zu sehen. Eine Zeit lang hatten wir befürchtet, du würdest gar nicht mehr aufwachen. Du wärst nämlich beinahe getötet worden. Die Bibliothek war hinterher völlig zerstört. All die Bücher sind zu Asche geworden – und das nur wegen dir. Wie werden die Sareoten im Jenseits heulen! Ihre armen Bücher!«
Achamian war geknebelt und nackt und hing – die Handgelenke über dem Kopf, die Knöchel aneinandergekettet – über einem großen Mosaikboden. Der Raum hatte eine gewölbte Decke, doch er konnte weder ihren Scheitelpunkt erkennen noch ausmachen, wo die Mauern endeten, vor denen das in Seide gekleidete Gefolge des Eleäzaras stand. Die Wände verloren sich im Halbdunkel. Auf drei düsteren Stativen standen Kerzen, und nur er, der im Schnittpunkt der Lichtkreise hing, war erleuchtet.
»Ah ja«, fuhr Eleäzaras fort und musterte sein Gegenüber mit dünnem Lächeln. »Dieser Ort. Es ist immer gut, eine Vorstellung von seinem Gefängnis zu haben, nicht wahr? Es scheint sich hier um eine alte Kapelle der Inrithi zu handeln – ceneischen Ursprungs, wie ich vermute.«
Plötzlich verstand er.
Die Scharlachspitzen! Ich bin tot… tot!
Von tierischer Panik ergriffen, zerrte Achamian an seinen Ketten und versuchte, den Knebel aus dem Rachen zu husten, erschlaffte aber bald. Er schwang in kleinen Kreisen von der Decke, und Schmerzwelle um Schmerzwelle durchlief ihn.
Esmi…
»Die Situation scheint ziemlich eindeutig, Achamian, oder?«, fragte Eleäzaras. »Du weißt, warum du entführt wurdest, und kennst das zwangsläufige Ende. Wir werden dich nach der Gnosis fragen, und du wirst – durch jahrelanges Training der Mandati darauf vorbereitet – all unseren Folterungen standhalten, unter Todesqualen sterben und deine Geheimnisse wahren. Uns bleibt nur eine weitere nutzlose Leiche der Mandati. So ist es vorgesehen, nicht wahr?«
Achamian sah in blankem Entsetzen ins Leere. Er war ein Pendel der Qual, das langsam hin- und herschwang.
Eleäzaras sagte die Wahrheit. Er sollte für sein Wissen sterben – für die Gnosis.
Denk nach,
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