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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Kapitel
     
    SHIGEK
     
     
     
    Nie ähneln Menschen einander so wie im Schlaf oder im Tod.
     
    Opparitha: Über die Körperlichkeit
     
     
    In den Tagen nach der Schlacht von Anwurat war die Überheblichkeit der Inrithi enorm. Obwohl die Nüchternen forderten, den Angriff fortzusetzen, verlangten die meisten nach einer Ruhepause. Sie hielten die Fanim für vernichtet, wie sie sie schon nach der Schlacht auf den Ebenen von Mengedda für vernichtet gehalten hatten. Doch während die Männer des Stoßzahns wertvolle Zeit verschenkten, schmiedete der Padirajah ein Komplott, um die Welt zu seinem Schild zu machen.
     
    Drusas Achamian: Handbuch des Ersten Heiligen Kriegs
     
     
     
    IOTHIAH, FRÜHHERBST 4111
     
    Achamian litt einmal mehr unter Alpträumen.
    Unter Träumen, die ihn wie Messer durchführen.
    Nieselregen ließ die Berge ringsum in dichtem, wolligem Grau verschwinden. Nur der Irrsinn direkt vor ihm war deutlich zu erkennen: Massen von Sranc mit bronzenen Waffen und Truppen der Bashrags mit riesigen Hämmern. Und dahinter die hohen Mauern Golgotteraths mit seinen in den Nebel gehüllten Wachtürmen auf den Steilklippen und den beiden großen goldenen Halbbögen, die ins trübe Grau ragten und von denen das Wasser rann.
    Das ehrwürdige Golgotterath – über dem größten Schrecken errichtet, der je vom Himmel gefallen war.
    Einem Schrecken, der sich bald zu erkennen geben würde…
    Wie eine Armada von Spinnen griffen die Sranc an, jagten brüllend durch Pfützen und Schlamm und stürmten in die Phalanx der Aörsi, die das langhaarige Bollwerk des Nordens waren. Sie brandeten gegen die schimmernden Truppen der Kûniüri, der herrlichsten Vertreter der ruhmreichen Norsirai also, deren Anführer ihnen mit ihren Streitwagen entgegenpreschten und allesamt umkamen. Die Truppen Ishterebinths, des letzten Adelshauses der Nichtmenschen, sprengten in ein wahres Meer aus Abscheulichkeiten und hinterließen schwarze Ruinen, wohin immer sie auch kamen. Der große Nil’gikas stand wie ein strahlender Sonnenfleck mitten in Rauch und Kriegsgetümmel. Und Nymeric stieß wieder und wieder ins Weltenhorn, bis die Sranc nichts anderes mehr als ihren Untergang vernahmen.
    Seswatha, der Hochmeister der Sohonc, hob sein Gesicht dem Regen entgegen und schmeckte süße Freude, denn es geschah, geschah wirklich! Das heillose Golgotterath, das alte Min-Uroikas, stand vor dem Untergang. Er hatte sie rechtzeitig gewarnt!
    Achamian erlebte all die achtzehn Jahre dieser Täuschung aufs Neue.
    Träume, die ihn wie Messer durchführen.
    Und wenn heisere Rufe oder ein Schwall kalten Wassers ihn weckten, schien es, als hätte nur ein Schrecken den anderen ersetzt. Dann blinzelte er in den Schein einer Fackel, spürte benommen seine Fesseln und den stinkenden Knebel und sah schemenhafte Gestalten in scharlachroten Roben um ihn versammelt. Und bevor er wieder in seine Alpträume glitt, dachte er jedes Mal: Sie kommt… Die Apokalypse kommt.
     
     
    »Seltsam, Iyokus, oder?«
    »Was denn?«
    »Dass man Menschen so leicht hilflos machen kann.«
    »Nicht nur Menschen – auch Orden.«
    »Was willst du damit sagen?«
    »Nichts, Hochmeister.«
    »Sieh mal! Er schlägt die Augen auf!«
    »Das tut er von Zeit zu Zeit. Aber er muss erst wieder ein wenig zu Kräften kommen, ehe wir anfangen können.«
     
     
    Esmenet stieß einen Schrei aus, als sie Kellhus und Serwë – ihre Pferde an der Hand – auf sich zukommen sah. Beide waren von der langen, schlaflosen Reise mitgenommen. Unvermittelt rannte sie ihnen über das unebene Weideland entgegen, wie von einer langen, unwiderstehlichen Leine gezogen. Aber eigentlich rannte sie nicht ihnen entgegen, sondern ihm.
    Sie flog auf ihn zu und umarmte ihn so heftig, dass sie sich über die Kraft ihrer Glieder wunderte. Er roch nach Staub und Duftölen. Bart und Haupthaar strichen zärtlich über ihre Haut. Sie spürte Tränen über ihre Wangen zu seinem Hals strömen.
    »Kellhus«, schluchzte sie. »Ach, Kellhus – ich fürchte, ich werde verrückt!«
    »Nein, Esmi – das ist dein Kummer.«
    Sie empfand ihn als wahren Trostbringer. Seine breite Brust, an die sie sich drücken konnte! Seine langen, beschützenden Arme, mit denen er sie umschlungen hielt!
    Nun schob er sie ein Stück von sich fort, und sie wandte sich an Serwë, die ebenfalls weinte. Sie umarmten sich und gingen dann zu dritt zu dem einsamen Zelt am Hang. Kellhus führte die Pferde.
    »Wir haben dich sehr vermisst, Esmi«, sagte Serwë

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