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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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irgendwie gestärkt. So jedenfalls kam es ihr nun vor. Sie hatte das unabweisbare Gefühl gehabt, Achamians Umgebung beschützen zu müssen. Sie hatte sich sogar geweigert, die beschädigte Keramikschale anzufassen, aus der er am letzten Morgen Tee getrunken hatte. Indem sie seine Abwesenheit bis ins herzzerreißende Detail abbildeten, waren solche Dinge in ihren Augen Fetische geworden, Glücksbringer, die für seine Rückkehr sorgen würden. Und sie hatte verzweifelten Stolz empfunden: Alle waren geflohen – nur sie war zurückgeblieben! Immer wieder hatte sie auf die verlassenen Felder geblickt, auf die Feuerstellen, die sich allmählich wieder begrünten, auf die Trampelpfade im Gras, und die ganze Welt war ihr geisterhaft vorgekommen. Nur ihr Verlust schien ihr real. Nur Achamian. Hatte in dieser Haltung nicht eine Würde und Anmut eigener Art gelegen?
    Jetzt zog sie weiter – egal, was Kellhus über Feuerstelle und Familie gesagt hatte. Hieß das, auch Akka zurückzulassen?
    Sie weinte, als Kellhus ihr beim Aufstellen von Achamians Zelt half, das im Schatten des großen Brokatpavillons, den der Dûnyain sich mit Serwë teilte, klein und abgewetzt erschien. Aber sie war dankbar, ungemein dankbar.
    Sie hatte erwartet, die ersten Nächte würden schwierig werden, sich darin aber getäuscht. Kellhus war zu großzügig und Serwë zu unschuldig, als dass Esmenet sich nicht willkommen gefühlt hätte. Von Zeit zu Zeit brachte Kellhus sie zum Lachen – wohl nur, wie sie vermutete, um ihr zu zeigen, dass sie noch Freude empfinden konnte. Ansonsten teilte er ihre Trauer oder zog sich zurück, damit sie allein leiden konnte.
    Serwë war… na ja, Serwë war Serwë. Manchmal schien sie Esmenets Gram gar nicht wahrzunehmen und tat, als hätte sich nichts verändert und als könnte Achamian jederzeit die kurvige Gasse angebummelt kommen und dabei mit Xinemus lachen oder streiten. Und obwohl Esmenet dieses Verhalten im Prinzip widerlich war, fand sie es in der Praxis merkwürdig tröstend. Es war angenehm, sich zu verstellen.
    Bei anderer Gelegenheit schien Serwë tief erschüttert wegen Esmenet oder Achamian oder sich selbst. Das lag natürlich zum Teil an der Schwangerschaft. Esmenet selbst hatte geweint und gelacht wie eine Verrückte, als sie mit ihrer Tochter schwanger ging, fand Serwës Stimmungsschwankungen aber trotzdem schwer erträglich. Sie fragte das Mädchen zwar jedes Mal brav, was los sei, und blieb stets freundlich, doch was sie dabei dachte, beschämte sie. Wenn Serwë sagte, sie weine um Achamian, fragte Esmenet sich, ob die beiden sich öfter als einmal geliebt hatten. Wenn Serwë sagte, sie weine um sie, war Esmenet empört. War sie etwa so mitleiderregend? Und wenn das Mädchen in Selbstmitleid zu schwelgen schien, fand Esmenet das schlicht widerlich. Wie konnte man so selbstsüchtig sein?
    Hinterher machte sie sich dann stets Vorwürfe. Was würde Achamian von ihren bitteren und gehässigen Gedanken halten? Er wäre sicher sehr enttäuscht. »Esmi«, würde er sagen, »Esmi, bitte…« So verbrachte sie eine schlaflose Nacht nach der anderen damit, sich ihre schrecklichen Worte und kleinen Grausamkeiten ins Gedächtnis zu rufen und die Götter um Vergebung anzuflehen. Sie hatte sie doch nicht ernst gemeint! Wie denn auch?
    In der dritten Nacht klopfte es leise gegen ihre Zeltklappe. Als sie sie beiseite schob, zwängte sich Serwë herein. Sie roch nach Rauch, Orangen und Jasmin. Das halbnackte Mädchen kniete weinend im Dunkel. Esmenet hatte gelauscht und wusste schon, dass Kellhus nicht zurückgekehrt war. Er hatte seine Beratungen – und natürlich seine wachsende Gemeinde.
    »Serchaa?«, fragte sie mit der Lustlosigkeit einer Mutter, die immerfort Kinder trösten musste, die viel weniger litten als sie selbst. »Was gibt’s, Serchaa?«
    »Bitte, Esmi, ich flehe dich an!«
    »Aber Serchaa – worum geht es denn?«
    Serwë zögerte. Ihre Augen waren nur glitzernde Punkte im Düsteren.
    »Nimm ihn mir nicht weg!«, rief sie plötzlich. »Nimm ihn mir nicht weg!«
    Esmenet lachte, aber leise, um die Gefühle des Mädchens nicht zu verletzen.
    »Ich und dir Kellhus wegnehmen«, sagte sie amüsiert.
    »Bitte, Esmi! Du bist so schön! Fast so schön wie ich! Und du bist klug! Du redest mit ihm wie sonst nur Männer. Ich hab dir zugehört!«
    »Serchaa – ich liebe Akka. Kellhus mag ich auch, aber nicht so, wie du fürchtest. Du darfst keine Angst haben! Ich könnte es nicht ertragen, wenn du vor mir

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