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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Säule gelehnt und war in wüste, undurchdringliche Gedanken versunken. Der umlaufende Fries der im bleichen Mondlicht schimmernden Säule zeigte Leoparden, die wie Menschen aufrecht standen. Das Flattern von Schwingen riss ihn aus seinen Träumereien, und er schaute mit großen braunen Augen auf.
    Ein Vogel ließ sich auf seinem Knie nieder. Er glich einem Raben – bis auf den weißen Kopf.
    Den weißen Menschenkopf.
    Das kleine Gesicht zuckte mit vogeltypischer Nervosität und beobachtete Sarcellus aus winzigen türkisfarbenen Augen.
    »Ich rieche Blut«, sagte es mit dünner Stimme.
    Sarcellus nickte. »Das ist der Scylvendi. Er hat mich beim Verhör des Mädchens gestört.«
    »Was ist mit deiner Wirksamkeit?«
    »Die ist vollauf intakt. Der Rest heilt bereits.«
    Das Mischwesen blinzelte kurz. »Gut. Und was hast du herausgefunden?«
    »Er ist kein Cishaurim.« Sarcellus hatte das so leise gesagt, als wollte er die winzigen Trommelfelle seines Besuchers schützen.
    Das Mischwesen wandte ihm neugierig den Kopf zu. »Tatsächlich nicht?«, fragte es gleich darauf. »Was ist er dann?«
    »Ein Dûnyain.«
    Der kleine Kopf zog eine Grimasse, und die reiskorngroßen Zähnchen blitzten zwischen den Lippen. »Bei mir hört der Spaß auf, Gaörtha – jeder Spaß.«
    Sarcellus wurde reglos. »Ich mache keinen Spaß. Er ist ein Dûnyain. So nennt ihn der Scylvendi. Das Mädchen war sich dessen ganz sicher.«
    »Aber in Atrithau gibt es keinen Orden namens Dûnyain.«
    »Und damit wissen wir, dass er kein Prinz von Atrithau ist.«
    Der Alte Name hielt inne und stellte mit seinem kleinen Vogelhirn offenbar komplizierte menschliche Überlegungen an.
    »Vielleicht«, sagte er schließlich, »ist es kein Zufall, dass der Name dieses Ordens sich aus der Sprache des alten Kûniüri herleitet. Vielleicht ist Anasûrimbor wirklich der Name dieses Mannes und keine plumpe Lüge der Cishaurim. Vielleicht ist er tatsächlich von der Alten Saat.«
    »Könnten die Nichtmenschen ihn ausgebildet haben?«
    »Möglich. Aber wir haben Kundschafter, sogar in Ishterebinth. Nin-Ciljiras tut kaum etwas ohne unser Wissen.«
    Das kleine Gesicht kicherte und faltete seine obsidianfarbenen Flügel, um sie sogleich wieder auszubreiten.
    »Nein«, fuhr das Mischwesen fort und zog die kleine Stirn in Falten, »dieser Dûnyain ist kein Schützling der Nichtmenschen. Als die Flamme des alten Kûniüri ausgetreten wurde, glommen viele Scheite hartnäckig weiter. Der Mandati-Orden zum Beispiel. Vielleicht sind auch die Dûnyain so ein Scheit: so hartnäckig wie die Mandati…«, die kleinen blauen Augen flackerten, und das Mischwesen blinzelte erneut, »… aber erheblich verschwiegener.«
    Sarcellus sagte kein Wort. Zu Spekulationen über solche Dinge war er weder berechtigt noch in der Lage.
    Der Alte Name schlug die winzigen Zähne zweimal aufeinander, als wollte er sich ihrer Festigkeit versichern.
    »Ja, ein glühender Scheit – und an keinem geringeren Ort als im tiefsten Dunkel des heiligen Golgotterath.«
    »Er hat dem Mädchen erzählt, er werde den Heiligen Krieg führen.«
    »Und er ist kein Cishaurim! Welch ein Mysterium, Gaörtha! Wer sind diese Dûnyain? Was haben sie mit dem Heiligen Krieg vor? Und wie, mein hübsches Kind, kann dieser Mann durch dein Gesicht sehen?«
    »Aber wir…«
    »Er sieht genug… Mehr als genug.«
    Das Mischwesen beugte den Kopf nach rechts, blinzelte und richtete ihn dann wieder auf.
    »Übe noch etwas Nachsicht mit diesem Prinz Kellhus, Gaörtha. Seit der Hexenmeister der Mandati abserviert wurde, ist auch er nicht mehr so bedrohlich. Übe noch Nachsicht mit diesem Dûnyain, denn wir müssen mehr über ihn erfahren.«
    »Aber seine Macht wächst ständig. Immer mehr Menschen nennen ihn den Kriegerpropheten oder gar den Prinzen Gottes. Wenn das so weitergeht, wird es sehr schwer, ihn zu beseitigen.«
    »Kriegerprophet?« Das Mischwesen kicherte. »Äußerst gerissen, dieser Dûnyain. Er nimmt die Fanatiker mit dem Leder an die Leine, das sie ihm selbst liefern. Worum geht es in seiner Lehre, Gaörtha? Stellt sie eine Gefahr für den Heiligen Krieg dar?«
    »Noch nicht, Vater der Rathgeber.«
    »Beurteile ihn und handle dann, wie du es für angemessen hältst. Sollte er sich den Heiligen Krieg wirklich einzuverleiben drohen, musst du ihn zum Schweigen bringen – koste es, was es wolle. Er ist nur ein Paradiesvogel. Unser eigentlicher Feind sind die Cishaurim!«
    »Ja, Altvater.«

16.

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