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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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seltsam aufgeregt.
    Esmenet betrachtete das Mädchen bedauernd. Ihr linkes Auge war grün und blau geschlagen, und unterhalb des Haaransatzes war ein böser roter Schnitt zu sehen. Auch wenn Esmenet mutiger gewesen wäre, hätte sie Serwë nicht gefragt, was passiert war. Bei dieser Art von Verletzungen brachten Fragen nur Lügen hervor, während das Abwarten die Chance bot, erzählt zu bekommen, was tatsächlich passiert war. Das war das Los von Frauen – vor allem, wenn sie liederlich waren oder als liederlich galten.
    Vom Gesicht abgesehen schien das Mädchen gesund zu sein und strahlte beinahe. Unter ihrem Hasas war ihr Bauch bewundernswert schmalhüftig gewachsen. Hundert Fragen gingen Esmenet durch den Kopf. Wie mochte es Serwës Rücken gehen? Wie oft musste sie Wasser lassen? Hatte es Blutungen gegeben? Plötzlich begriff sie, wie verängstigt das Mädchen sein musste – sogar mit Kellhus. Esmenet erinnerte sich ihrer eigenen ängstlichen Freude. Aber sie war ja auch allein gewesen. Ganz allein.
    »Ihr seid sicher völlig ausgehungert! «, rief sie.
    Serwë schüttelte wenig überzeugend den Kopf, und Esmenet und Kellhus lachten. Serwë hatte immer Hunger – und so gehörte es sich schließlich für eine Schwangere.
    Einen Moment lang spürte Esmenet den alten Sonnenschein aus ihren Augen blitzen.
    »Es tut so gut, dass ihr gekommen seid«, sagte sie. »Ich habe nicht nur den Verlust von Achamian betrauert.«
    Die Dämmerung war angebrochen. Also schleppte sie Feuerholz herbei, vor allem knochenfarbenes Treibgut, das sie am Flussufer gesammelt hatte. Kellhus saß mit gekreuzten Beinen vor den schwindenden Flammen. Serwë lehnte den Kopf an seine Schulter. Die Sonne hatte ihr Haar annähernd weiß werden lassen. Ihre Nase war rot und schälte sich, wie so oft.
    »Das ist das gleiche Feuer wie damals, als wir zum ersten Mal nach Shigek gekommen sind«, meinte Kellhus.
    Esmenet, die mit einem Arm voller Holz ans Feuer getreten war, hielt inne.
    »Genau!«, rief Serwë und ließ den Blick über die kahlen Hänge und das dunkle Band des Flusses schweifen. »Aber alles andere ist verschwunden – alle Zelte und alle Menschen.«
    Esmenet legte sorgfältig ein Stück Holz nach dem anderen ins Feuer. In letzter Zeit hatte sie sich geradezu besessen um ihr Lagerfeuer gekümmert. Es gab ja sonst niemanden, um den sie sich hätte kümmern können.
    Sie spürte den sanft prüfenden Blick des Dûnyain.
    »Manches Feuer kann nicht wieder entfacht werden«, sagte er ernst.
    »Das brennt gut genug«, murmelte Esmenet, blinzelte ein paar Tränen weg, schniefte und wischte sich die Nase.
    »Was macht eigentlich eine Feuerstelle aus, Esmi? Das Feuer oder die Familie, die es unterhält?«
    »Die Familie«, antwortete sie schließlich. Eine seltsame Leere hatte sie ergriffen.
    »Wir sind diese Familie – und das weißt du.« Kellhus hatte den Kopf zur Seite geneigt, um in ihr zu Boden blickendes Gesicht zu sehen. »Und Achamian weiß es auch.«
    Ihre Beine versagten den Dienst. Sie stolperte, fiel hin und fing wieder an zu weinen.
    »Aber ich muss bleiben… Ich muss warten, bis er nach Hause kommt.«
    Kellhus kniete neben ihr und hob ihr Kinn. Sie sah eine Tränenspur auf seiner linken Wange.
    »Wir sind dieses Zuhause«, sagte er, und damit hatte sich die Sache irgendwie erledigt.
    Beim Essen berichtete Kellhus, was in der letzten Woche geschehen war. Er war immer ein großartiger Geschichtenerzähler gewesen, und eine Zeit lang war Esmenet von der Schlacht bei Anwurat und ihrem komplizierten Hin und Her in Bann geschlagen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, als er die Brandschatzung des Lagers und den Angriff der Khirgwi beschrieb, und sie klatschte und lachte so laut wie Serwë, als er von seiner Verteidigung der Swazond-Standarte berichtete, bei der er – wie er behauptete – einfach nur ungeheures Glück gehabt habe. Und Esmenet staunte einmal mehr, dass sich ein so wundersamer Mann – ganz sicher ein Prophet! – mit ihr abgab, mit einer gewöhnlichen Hure aus den Elendsvierteln von Sumna.
    »Ach, Esmi«, sagte er, »es macht mich so glücklich, dich lächeln zu sehen.«
    Sie biss sich auf die Lippe und lachte unter Tränen.
    Mit größerem Ernst erzählte er von den Ereignissen, die auf die Schlacht gefolgt waren: wie die Heiden in die Wüste gejagt wurden; wie Gotian das Haupt des Skauras vor den Freudenfeuern der Inrithi präsentiert hatte; wie der Heilige Krieg noch immer mit der Sicherung des Südufers

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