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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Rechtschaffenheit und unwiderrufliches Urteil. Die Seiten schienen mit Eisen beschrieben. Jedes Wort, das sie sich vorlas, erzeugte eine Beklemmung eigener Art. Jede Spalte, deren Buchstaben sie an Vogelspuren denken ließen, bedrohte die nächste.
    »Ich bin wirklich nicht scharf darauf«, sagte sie zu Kellhus, »die Rechtfertigung meiner Verdammnis zu lesen!«
    »Was steht denn dort?«, fragte er nur und ignorierte ihre Empörung.
    »Dass ich Schmutz bin!«
    »Was steht dort wirklich, Esmi?«
    Sie widmete sich wieder der Schwerarbeit, den Zeichen Laute und den Lauten Worte abzuringen.
    Der Tag war brütend heiß, besonders in der Stadt, wo die Steine und Lehmziegel die Sonne aufsogen und die Hitze zu verdoppeln schienen. Esmenet zog sich am Abend früh zurück und schlief erstmals seit vielen Tagen ein, ohne um Achamian zu weinen.
    Irgendwann sprangen ihre Augen einfach auf, und sie war sofort hellwach, obwohl Dunkelheit und Temperatur ihr zeigten, dass der Morgen noch lange auf sich warten lassen würde. Stirnrunzelnd betrachtete sie ihre Zeltklappe, die beiseitegezogen worden war. Ihre nackten Füße sahen aus den Decken und lagen im Mondlicht – genau wie die in Sandalen steckenden Füße eines Mannes.
    »Du bist wirklich in interessante Gesellschaft geraten«, sagte Sarcellus.
    Zu schreien kam ihr nicht in den Sinn. Im ersten Moment schien seine Anwesenheit so passend wie unmöglich zu sein. Er lag mit aufgestütztem Ellbogen neben ihr, und seine großen braunen Augen glitzerten vergnügt. Unter einem weißen, mit goldenen Blumen bestickten Umhang trug er die Robe der Tempelritter mit dem auf die Brust gestickten Stoßzahn. Er roch nach Sandelholz und anderen Tempeldüften, die sie nicht bestimmen konnte.
    »Sarcellus«, murmelte sie. Wie lange mochte er sie schon beobachtet haben?
    »Du hast dem Hexenmeister nie von mir erzählt, stimmt’s?«
    »Niemals.«
    Er schüttelte bekümmert den Kopf, doch das war reiner Hohn. »Nichtsnutzige Hure.«
    Das Gefühl von Unwirklichkeit schwand, und die erste echte Anwandlung von Furcht überkam sie.
    »Was willst du, Sarcellus?«
    »Dich.«
    »Verschwinde.«
    »Dein Prophet ist nicht, wofür du ihn hältst – und das weißt du auch.«
    Ihre Furcht war zu panischer Angst geworden. Sie wusste genau, wie grausam er zu den vielen sein konnte, denen er keinerlei Achtung entgegenbrachte, war aber immer der Meinung gewesen, zum kleinen Kreis der Auserwählten zu gehören – auch nachdem sie sein Zelt verlassen hatte. Aber etwas war geschehen… Irgendwie war ihr klar, dass sie dem Mann, der da auf sie niederstarrte, nichts, absolut nichts bedeutete.
    »Geh jetzt, Sarcellus.«
    Der Kommandierende General der Tempelritter lachte. »Aber ich brauche dich, Esmi. Ich brauche deine Hilfe. Für gutes Geld natürlich…«
    »Ich schreie. Ich warne dich!«
    »… und dafür, dass ich dich am Leben lasse!«, knurrte Sarcellus. Nun hielt er ihr den Mund zu. Sie brauchte die Schneide nicht zu spüren, um zu wissen, dass er ihr ein Messer an die Kehle hielt.
    »Hör zu. Du hast dir angewöhnt, am falschen Tisch zu betteln. Der Hexenmeister ist tot, und dein Prophet ist als Nächster dran. Da frage ich mich, was aus dir wird.«
    Er riss die Decken weg, und sie lag in der warmen Nachtluft. Sie zuckte zurück und schluchzte auf, als die Messerspitze über ihre mondbeschienene Haut strich.
    »Na, was tust du, wenn du alt und faltig bist? Mit wem gehst du dann ins Bett? Mit Aussätzigen? Mit verängstigten Jungs?«
    Sie wimmerte vor Angst, und Sarcellus meinte süffisant: »Dir scheint klar zu sein, was auf dem Spiel steht.«
    Esmenet nickte schluchzend.
    Er lächelte und nahm seine Hand weg.
    Sie kreischte und schrie, bis ihre Kehle zu bluten schien.
    Dann hielt Kellhus sie und zog sie aus dem Zelt zur noch glimmenden Feuerstelle. Sie hörte Rufe, sah Fackeln tragende Männer sich um sie sammeln und vernahm brummende Stimmen, die Conriyisch sprachen. Irgendwie gelang es ihr zu berichten, was sich zugetragen hatte, obwohl sie in Kellhus’ starken Armen heftig zitterte und schluchzte. Danach – es mochten Sekunden und doch Tage vergangen sein – schwand die Aufregung. Die Leute legten sich bis zum Morgen noch mal hin. An die Stelle von Esmenets Angst trat ein peinigendes Gefühl der Verlegenheit. Kellhus sagte, er werde sich bei Gotian beschweren, aber man könne kaum etwas tun.
    »Sarcellus ist schließlich Kommandierender General der Tempelritter«, meinte er.
    Und sie war nur die Hure

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