Der Prinz von Atrithau
fruchtbares, grünes Land: Enathpaneah. Sie stolperten in ein von Bächen durchzogenes Tal und dort in den Schatten seltsamer Weidenbäume. Während Serwë döste, zog Kellhus Esmenet aus und trug sie ins kristallklare Wasser. Er badete sie und wusch ihr den samtenen Staub von der Haut.
Du bist meine Frau. Du, Esmi.
Sie blinzelte, und die Sonne schimmerte durch ihre nassen Wimpern.
Wir haben die Wüste durchquert, Esmi.
Und ich bin deine Frau, Kellhus.
Er lachte und tätschelte ihr Gesicht, als wäre er verlegen, und sie küsste seine besonnte Hand. Das Wasser, das ihm aus den flachsfarbenen Locken und dem Bart lief, war braun wie trocknes Blut.
Kellhus baute aus Steinen und Zweigen einen Unterschlupf für Serwë. Er fing Kaninchen, grub nach Knollen und machte Feuer, indem er Stöcke gegeneinander rieb. Eine Zeit lang schien es, als hätten nur sie überlebt, als wäre die ganze Menschheit untergegangen, nicht nur der Heilige Krieg. Sie allein redeten. Sie allein starrten und begriffen, dass sie starrten. Nur sie allein liebten – bis ans Ende der Welt. Alle Leidenschaft, alles Wissen schien in ihnen versammelt und ein vorletztes Mal zu erklingen. Es war unmöglich, diese Empfindung zu erklären oder zu ergründen. Sie ähnelte keiner Blume und auch nicht dem sorglosen Lachen eines Kindes.
Sie waren das Maß der Dinge geworden – absolut, bedingungslos.
Als sie sich im Fluss liebten, schienen sie das Meer zu weihen.
Du, Esmenet, bist meine Frau.
Sie brannten im klaren Wasser, ineinander. Der verankernde Schmerz.
Die Wüste hatte alles verändert.
»Kellhuuus!«, keuchte Serwë zwischen zwei Wehen. »Kellhus, ich hab Angst!« Sie stöhnte und schrie: »Da stimmt was nicht!«
Kellhus wechselte ein paar Worte mit der einheimischen Hebamme, die etwas dampfendes Wasser über Serwës Oberschenkel laufen ließ und dabei lächelte und nickte. Er warf Esmenet einen kurzen Blick zu, kniete neben Serwë nieder und legte ihr die Hand an die glühende Wange. Sie nahm seine Rechte und drückte den keuchenden Mund darauf. Dabei wirkte sie panisch, und ihr Blick war verzweifelt, ja flehentlich.
»Kellhuuussss!«
»Alles ist, wie es sein soll, Serwë«, sagte er mit neugierig strahlenden Augen.
»Du«, rief das Mädchen und rang nach Luft. »Du!«
Er nickte, als hörte er weit mehr als nur ein Wort. Lächelnd wischte er ihr mit dem Daumen Tränen von der Wange.
»Ich«, flüsterte er.
Einen Augenblick lang sah Esmenet sich wie von weit weg. Wie hätte sie nicht den Atem anhalten sollen? Schließlich kniete sie hier mit dem Kriegerpropheten über der Frau, die sein erstes Kind gebar.
Die Welt hatte ihre Gebräuche. Mitunter zwickten, kitzelten oder streichelten einen Ereignisse oder prügelten auch mal auf einen ein, doch irgendwie endeten sie immer in der Monotonie dessen, was man ohnehin erwartet hatte. So viele trübe Geschehnisse! So viele Augenblicke, die kein Licht warfen, keine Wende brachten, nur elementaren Verlust bezeichneten. Ihr Leben lang war Esmenet sich wie ein Kind an der Hand eines Fremden vorgekommen, der mal durch diese, mal durch jene Menge ging und auf einen Ort zuhielt, von dem sie wusste, dass sie dort nichts verloren hatte. Und doch hatte sie immer zu viel Angst gehabt, um zu fragen oder zu kämpfen.
Wohin führst du mich ?
Sie hatte nie gewagt, danach zu fragen. Nicht weil sie die Antwort fürchtete, sondern das, was die Antwort aus ihrem Leben machen würde.
Nirgendwohin. Jedenfalls an keinen guten Ort.
Aber jetzt, da sie die Wüste durchquert und die Gewässer von Enathpaneah erreicht hatten, kannte sie die Antwort. Mit jedem ihrer Freier hatte sie um seinetwillen geschlafen. Jede ihrer Sünden hatte sie um seinetwillen begangen. Jede Schale, die sie beschädigt, jedes Herz, das sie gebrochen hatte. Sogar Mimara. Sogar Achamian. Ohne es zu wissen, hatte Esmenet ihr ganzes Leben für ihn gelebt – für Anasûrimbor Kellhus.
Sie hatte gelitten, damit er ihr sein Mitgefühl zeigte, hatte sich Illusionen gemacht, auf dass er ihr die Wahrheit offenbaren konnte, hatte gesündigt, damit er ihr vergab, hatte sich erniedrigt, auf dass er sie erheben konnte. Er war der Ursprung und die Bestimmung. Er war das Woher und das Wohin, und er war hier!
Hier!
Es war verrückt und unmöglich und doch wahr.
Wenn sie darüber nachdachte, konnte Esmenet nur staunend lachen. Wie entfernt war ihr das Heilige immer vorgekommen! Wie die Gesichter von Königen und Kaisern auf den Münzen, die sie so
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