Der Prinz von Atrithau
zwischen Stöhnen und Wimmern. Esmenet beugte sich über sie und strich ihr mit den Fingern durchs schweißnasse Haar. Der Regen prasselte auf die durchhängende Decke ihres einfachen Zelts, und hier und da fiel ein glitzernder Tropfen durchs Halbdunkel auf die Strohmatten. Esmenet kam es vor, als kauerten sie in einer erleuchteten Höhle, in der muffige Sachen und verfaulendes Schilf lagen.
Die von Kellhus gerufene Einheimische sprach beruhigend auf Serwë ein – in einer Sprache allerdings, die nur der Dûnyain zu verstehen schien. Esmenet empfand ihre kehlige Stimme als eine Wohltat. In dieser Situation waren Unterschiede der Sprache und des Glaubens nicht länger von Bedeutung.
Serwë lag in den Wehen.
Die Hebamme saß mit gekreuzten Beinen zwischen ihren gespreizten Knien, und Esmenet hockte über dem angsterfüllten Gesicht des Mädchens. Kellhus stand über ihnen dreien. In seiner Miene lagen Wachsamkeit, Weisheit und Trauer. Esmenet sah ihn beunruhigt an. Alles wird gut, sagten seine Augen, doch sein Lächeln konnte ihre Besorgnis nicht zerstreuen.
Es gibt mehr, schärfte sie sich ein – mehr als nur mich.
Wie lange war es her, dass Achamian sie verlassen hatte?
Womöglich gar nicht so lange, aber die Wüste lag zwischen ihnen.
Keine Wanderung hätte länger sein können. Die Carathay hatte sich an ihr vergangen, hatte Schleifen und Verschlüsse aufgenestelt, lederne Hände unter ihr Kleid gestoßen, war ihr mit polierten Fingerspitzen über Brust und Schenkel gefahren, hatte sie geradezu enthäutet, bis auf die Knochen ausgezogen und sie auf den Sand geschleudert, wie die Meeresbrandung das mit Muscheln tut.
Die Wüste hatte sie Kellhus dargebracht.
Anfangs hatte sie die Wüste kaum bemerkt. Sie war zu berauscht, zu unreif vor Freude gewesen. Wenn Kellhus sie und Serwë begleitete, lachte und redete sie viel, wie es ihre Art war, aber nun schien es eher Verstellung zu sein, um ihre wunderbare Intimität zu verschleiern. Sie hatte vergessen, wie sie sich in der Pubertät gefühlt hatte, als Sexualität für sie noch etwas Intimes und nicht ihr Beruf gewesen war. Mit Kellhus und Serwë geschlafen zu haben, hatte das Schamlose sittsam werden lassen, und sie fühlte sich wieder geborgen und ganz.
Wenn Kellhus mit seinen Zaudunyani unterwegs war, gingen Serwë und sie Hand in Hand und redeten so lange über alles Mögliche, bis sie doch wieder bei ihm landeten. Sie kicherten, erröteten und tasteten sich so spaßhaft wie spiel Tisch an künftige Vergnügungen heran. Sie gestanden einander Ärger und Ängste ein, weil sie wussten, dass ihr gemeinsames Bett keine Täuschung duldete. Sie träumten von Palästen und ganzen Armeen von Sklaven. Wie kleine Jungen prahlten sie mit Königen, die die Erde zu ihren Füßen küssten.
Aber die ganze Zeit war sie nicht so sehr durch die Wüste gewandert als um sie herum. Die Dünen waren ihr als gebräunte Körper im Harem, die Wüste nur als passende Szenerie ihrer Liebe und der nahen Machtergreifung des Kriegerpropheten erschienen. Erst als das Wasser langsam ausging und Sklaven und Tross massakriert wurden, durchquerte sie wirklich den Großen Durst.
Die Vergangenheit zerfiel zu Staub, und die Zukunft verdunstete. Selbst ihr Puls schien von einem anderen Herzen zu stammen. Sie erinnerte sich an die zunehmenden Anzeichen des Sterbens, an das Gefühl der Auszehrung, als sei ihr Körper eine Kerze, in die die Stunden gekerbt waren, die sie noch leuchten würde. Sie erinnerte sich daran, sich über Serwë gewundert zu haben, die in Kellhus’ Armen zu einer Fremden geworden war. Und sie wusste noch, dass auch sie sich staunend als eine Fremde wahrgenommen hatte – eine Fremde, die in ihren eigenen Gliedern steckte.
Dann bat Kellhus sie, ihr Wasser abzugeben.
Serwë. Sie wird das Kind verlieren…
Seine klaren Augen erinnerten sie daran, wer sie war: Esmenet. Sie holte ihren Wasserschlauch hervor, gab ihn Kellhus mit festen Händen und sah zu, wie er ihr schlammiges Leben einer Fremden einflößte. Und als der letzte Tropfen getrunken war, erkannte sie mit einer Schärfe, die so unbarmherzig war wie die Sonne: Es gibt mehr als mich.
Kellhus warf ihren Wasserschlauch in den Staub.
Du bist die Erste, sagten seine Augen, und sein Blick war wie Wasser – wie Leben.
Der Kies verbrannte ihr die Füße. Der Staub zerzauste ihr Haar. Die Sonne ließ ihre Lippen aufplatzen. Jeder Atemzug fühlte sich wie brennende Wolle an. Und dann erreichten sie doch noch
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