Der Prinz von Atrithau
Morgen regnete es nicht, doch ein dünner Nebel trübte die Sicht, beraubte Caraskand seiner kräftigen Kontraste und Farben und ließ die ferneren Viertel unwirklich aussehen. Obwohl es bedeckt war, spürte man die Sonne brennen.
Die Fanim – mochten sie nun aus Enathpaneah selbst stammen oder nur allgemein zu den Kianene zählen – drängten sich auf den Dächern, um zu sehen, was los war. Als sie eine stets größer werdende Rauchwolke aus den östlichen Vierteln der Stadt steigen sahen, umklammerten Frauen ihre schreienden Kinder, während Männer sich mit aschfahlen Gesichtern die Unterarme mit den Fingernägeln zerkratzten und alte Mütter zum Himmel jammerten. Tief unter ihnen kämpften sich Reiter der Kianene durch die verstopften Straßen und ritten dabei die eigenen Leute über den Haufen. Sie folgten dem Trommelruf des Sapatishah und waren auf dem Weg zur hoch aufragenden Festung im Nordwesten der Stadt, der Zitadelle des Hundes. Nach einer Weile entdeckten die erschrockenen Beobachter, falls sie entfernt liegende Straßen einsehen konnten, tatsächlich kleine, verruchte Silhouetten: die Männer des Stoßzahns. Gestalten in eiserner Rüstung hetzten durch die Straßen, ließen Schwerter niederfahren und brachten ihre glücklosen Opfer zur Strecke. Einige Zuschauer waren so erschrocken, dass ihnen schlecht wurde. Andere rannten auf die überfüllten Straßen, um – wie so viele – einen völlig hoffnungslosen Fluchtversuch zu unternehmen. Wieder andere harrten aus und beobachteten, wie die Rauchsäulen näher kamen, beteten zum Einzigen Gott, zerrten an ihren Bärten und ihrer Kleidung und dachten in heller Panik an all das, was sie nun verlieren würden.
Saubon versammelte seine Männer um sich, stürmte quer durch die Stadt auf das riesige Tor der Hörner zu und konnte den massiven Wachturm nach heftigem Kampf erobern, doch die Galeoth sahen sich durch die wenigen Reiter der Fanim, die in der Eile rechtzeitig an den Ort des Geschehens hatten gelangen können, arg bedrängt, zumal sie in den engen Gassen immer wieder von Scharen zu Fuß kämpfender Stadtbewohner attackiert wurden, die die Angreifer in Dutzende von Gefechten – oft Mann gegen Mann – verwickelten. Zwar traf durch das eroberte Seitentor ständig Verstärkung ein, doch die Galeoth sahen sich mit hartnäckigem Widerstand konfrontiert.
Letztlich aber wurde das gewaltige Tor der Hörner doch erobert, und Athjeäri und seine Ritter sprengten auf ihren gestohlenen Pferden in die Stadt. Ihnen folgten immer neue Truppen aus Conriya, die hinter ihren gottähnlichen Masken so unbesiegbar wie unmenschlich wirkten. In ihrem Schlepptau wurde ihr Prinz, der noch immer kränkliche Nersei Proyas, mit einer Sänfte in die Stadt getragen.
Damit hatten die Angreifer eine zweite Front eröffnet, was die Kianene kalt erwischte und ihnen die letzte Chance nahm, ihre Stadt zu retten. Die organisierte Gegenwehr zerfiel und beschränkte sich auf immer weniger Widerstandsnester, die in ganz Caraskand verstreut lagen, während die Inrithi scharenweise ausschwärmten, die Stadt zu plündern.
Häuser wurden durchwühlt und ganze Familien niedergemacht Dunkelhäutige Sklavenmädchen aus Nilnamesh wurden schluchzend an den Haaren aus ihren Verstecken gezogen, geschändet und ermordet, Gobelins von den Wänden gerupft und eingerollt oder zu Säcken umfunktioniert, in denen Silbergeschirr, Kleinplastiken und andere Gold- und Silberwaren verschwanden. Die Männer des Stoßzahns zogen durchs alte Caraskand, hinterließen überall zerstreute Kleidung und aufgebrochene Truhen, brachten den Tod und legten Feuer. Mancherorts wurden versprengte Plünderer von bewaffneten Trupps der Kianene niedergemacht oder fortgejagt, mitunter aber auch nur in Schach gehalten, bis es den Inrithi doch gelang, genug Mitstreiter um sich zu scharen, um den Heiden den Garaus zu machen.
Zu schweren Gefechten kam es auf den großen Marktplätzen der Stadt und in den prachtvolleren Gebäuden. Nur die Hohen Herren vermochten genug Männer zusammenzubringen, um die großen Türen aufzurammen und sich durch die langen, mit Teppichen ausgelegten Flure zu kämpfen. Aber dort war die reichste Beute zu machen: Die kühlen Keller waren voller Wein aus Eumarna und Jurisada, in vergitterten Schreinen fanden sich goldene Reliquien, in den Wohnräumen Alabaster- und Jadeplastiken von Löwen und Wüstenwölfen sowie raffinierte Marmorreliefs. Die Inrithi hinterließen Blut und Schmutz auf weiß
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