Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
ich Euch an.«
    Der Prinz von Conriya stolperte ein paar Schritte zurück. »Gar nichts seht Ihr!«
    Ich bin ganz nah dran…
    »Natürlich sehe ich es, Proyas. Wie könnt Ihr daran nur immer noch zweifeln?«
    Diese Worte lösten eine überraschende Erkenntnis und einen Sturm von Folgerungen in Proyas aus, die Kellhus nicht zum Schweigen bringen konnte.
    »Zweifeln?«, schrie der Prinz förmlich. »Wie sollte ich nicht zweifeln? Der Heilige Krieg steht am Abgrund, Kellhus!«
    Der Dûnyain lächelte, wie Xinemus einst über Dinge gelächelt hatte, die zugleich berührend und närrisch waren.
    »Gott prüft uns, Proyas. Er muss nur noch sein Urteil fällen! Sagt mir, wie es eine Prüfung ohne Zweifel geben kann.«
    »Er prüft uns…«, wiederholte Proyas mit leerem Gesicht.
    »Natürlich«, sagte Kellhus traurig. »Öffnet einfach Euer Herz, und Ihr werdet sehen!«
    »Mein Herz…«, begann Proyas, verstummte dann aber. In seinen Augen stand ungläubiges Entsetzen. »Er hat es mir gesagt!«, flüsterte er plötzlich. »Das hat er also damit gemeint!« Die Sehnsucht in seinem Blick und der Schmerz, der mit seinen Befürchtungen gekämpft hatte, verwandelten sich plötzlich in Argwohn und Unglauben.
    Jemand hat ihn gewarnt … Der Scylvendi? Hat er wirklich derart weit reichende Zusammenhänge durchschaut?
    »Proyas…«
    Ich hätte ihn töten sollen.
    »Und Ihr, Kellhus?«, rief der Prinz. »Zweifelt Ihr nicht? Hat der große Kriegerprophet keine Angst vor der Zukunft?«
    Kellhus sah Esmenet an, bemerkte, dass sie weinte, und ergriff ihre kalten Hände.
    »Nein«, sagte er.
    Ich habe keine Angst.
    Proyas verschwand bereits durch die Flügeltür ins hellere Licht des Vorzimmers.
    »Das kommt schon noch.«
     
     
    Mehr als tausend Jahre lang blickten die großen Kalksteinmauern Caraskands nun auf das zerklüftete Enathpaneah. Als Triamis I. – der womöglich bedeutendste Aspektkaiser – sie hatte errichten lassen, hatten seine Kritiker sich abschätzig über den Aufwand geäußert und behauptet, wer alle Feinde besiege, brauche keine Mauern. Diese Kritik tat Triamis, wie die Chronisten berichten, mit dem Satz ab: »Niemand kann die Zukunft besiegen.« Und tatsächlich hatten die so genannten Triamischen Mauern von Caraskand manchen Ansturm der Geschichte abgewehrt, abgelenkt und mitunter vereinnahmt.
    Fast täglich klangen die Kriegshörner der Inrithi von den Türmen und riefen die Männer des Stoßzahns auf die Schutzwälle, denn der Padirajah warf seine Leute mit unnachgiebiger Härte gegen die gewaltigen Befestigungen und war jedes Mal überzeugt, die hungernden Götzendiener würden nicht mehr die Kraft haben, seinem Angriff zu widerstehen. Die abgehärmten und hungrigen Kämpfer aus Galeoth, Conriya und Ce Tydonn bemannten die von Caraskands früheren Herren zurückgelassenen Kriegsmaschinen und schleuderten Töpfe voll flammendem Pech und große Eisenbolzen nach den Angreifern. Soldaten aus Thunyerus, Nansur und Ainon sammelten sich auf den Mauern, drängten sich hinter den Zinnen und duckten sich unter ihre Schilde, um Pfeilsalven auszuweichen, die mitunter die Sonne zu verdunkeln schienen. Und jedes Mal schlugen sie die Heiden zurück.
    So sehr die Kianene ihre Gegner auch verfluchten, mussten sie ihren Mut der Verzweiflung doch anerkennen. Der junge Athjeäri leitete zwei waghalsige Ausfälle auf die zerfurchte Ebene, wobei er einmal die Schützengräben der Pioniere einnahm und ihre Tunnel zum Einsturz brachte, das andere Mal schlampig errichtete Wälle überrannte und ein vereinzeltes Lager plünderte. Alle Welt sah, dass die Inrithi verdammt waren, und doch kämpften sie, als wüssten sie es nicht.
    Doch sie wussten es, wie nur Männer es wissen konnten, die furchtbaren Hunger litten.
    Ob Hemoplexie oder Aushöhlung: Die grausame Krankheit wütete weiter. Wie Chepheramunni, der regierende König von Ainon, schwebten viele zwischen Leben und Tod, während andere – Zursodda etwa, der Pfalzgraf von Koraphea, oder Cynnea, der Graf von Agmundr – ihr schließlich erlagen. Das Feuer der Scheiterhaufen freilich verzehrte immer mehr Gefallene. Als die Flammen den Grafen von Agmundr einäscherten, schossen seine berühmten Bogenschützen brennende Pfeile über die Stadtmauern, und die Kianene wunderten sich über die Verrücktheit der Götzendiener. Cynnea gehörte zu den Letzten aus dem Hochadel der Inrithi, die an der Krankheit starben.
    Zwar flaute die Seuche ab, doch der Hunger nahm zu. Der furchtbare

Weitere Kostenlose Bücher