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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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dass ihr Gott noch ein Mann war. »Kellhus«, fragte sie nachdenklich, »wie heißt dein Vater?«
    »Moënghus.«
    Serwë runzelte die Stirn. »Ich dachte, sein Name war… Aethel oder so ähnlich?«
    »Aethelarius«, sagte der Kriegerprophet. »In Atrithau nehmen die Könige den Namen eines bedeutenden Vorfahren an, wenn sie den Thron besteigen. Moënghus ist sein eigentlicher Name.«
    »Dann«, meinte sie und strich ihrem Sohn über den flaumigen Schädel, »soll das sein Name sein, wenn er gesalbt wird: Moënghus.« Das war keine Feststellung. In Gegenwart des Kriegerpropheten wurden alle Aussagen zu Fragen.
    Kellhus lächelte. »So werden wir unser Kind nennen.«
    »Was ist dein Vater für ein Mensch, mein Prophet?«
    »Ein höchst geheimnisvoller Mensch, Serwë.«
    Sie lachte leise. »Weiß er, dass er einen Propheten gezeugt hat?«
    Kellhus schürzte in vorgeblicher Konzentration die Lippen. »Vielleicht.«
    Serwë, die derart rätselhafte Gespräche inzwischen gewohnt war, lächelte und hatte Tränen in den Augen. Nun, da sie ihr warmes Kind an der Brust und den wärmeren Atem des Propheten im Nacken spürte, empfand sie die Welt als geschlossenen Kreis: Endlich schien das Leid aus ihrer Freude verbannt. Grausamkeiten und weit in der Zukunft liegende Dinge belasteten sie nicht mehr, und es war alles ganz nach ihrem Herzen.
    Plötzlich überkam sie ein Schuldgefühl. »Ich weiß, dass du betrübt bist«, sagte sie. »So viele leiden…«
    Er senkte den Kopf und schwieg.
    »… aber ich bin noch nie so glücklich gewesen. Ist es eine Sünde, Verzückung zu finden, während andere leiden?«
    »Nicht für dich, Serwë. Für dich nicht.«
    Sie atmete tief ein und betrachtete ihr Kind.
    »Moënghus hat Hunger«, sagte sie lachend.
    Froh, die lange Suche beendet zu haben, verschnauften Rash und Wrigga auf dem höchstgelegenen Abschnitt der Stadtmauer. Rash ließ seinen Schild fallen und setzte sich mit dem Rücken zur Brüstung, während Wrigga ans Mauerwerk gelehnt stehen blieb und durch eine Schießscharte nach den Feuern des Feindes spähte. Keiner von beiden beachtete die schattenhafte Gestalt, die ein Stück weit unterhalb der Zinnen kauerte.
    »Ich hab das Kind gesehen«, sagte Wrigga und blickte weiter in die Dunkelheit.
    »Wirklich?«, fragte Rash interessiert. »Wo?«
    »Vor den Toren des Fama-Palasts. Die Salbung war öffentlich. Das hast du nicht gewusst, was?«
    »Weil mir keiner was erzählt!«
    Wrigga spähte wieder prüfend in die Nacht. »Erstaunlich dunkel, hab ich gedacht.«
    »Was?«
    »Das Kind. Es kam mir sehr dunkel vor.«
    Rash schnaubte. »Das sind die Haare, mit denen es auf die Welt gekommen ist… Die fallen bald aus. Glaub mir: Meine zweite Tochter hatte Koteletten!«
    Beide lachten.
    »Wie heißt das Kind?«, krächzte eine Stimme aus dem Dunkel.
    Beide Männer zuckten zusammen und wandten sich der gewaltigen Silhouette des Scylvendi zu. Wie fast alle Männer des Stoßzahns hatten sie ihn schon gesehen, waren ihm aber noch nie so nah gewesen. Selbst im Mondlicht war sein Anblick erschreckend: zerzaustes schwarzes Haar; wütend gerunzelte Stirn über eiskalten Augen; kräftige, leicht hängende Schultern und muskulöser Nacken; schlanker, jugendlicher Körper; schließlich durchtrainierte Arme mit Narben, die er teils im Kampf erhalten, teils sich rituell beigebracht hatte. Er schien eine alte Statue zu sein und wirkte doch eigentümlich ausgehungert.
    »Was?«, fragte Rash erschrocken.
    »Wie das Kind heißt, will ich wissen!«, knurrte Cnaiür.
    »Moënghus!«, platzte Wrigga heraus. »Sie haben ihn auf den Namen Moënghus gesalbt…«
    Die bedrohliche Atmosphäre verschwand plötzlich. Die Miene des Barbaren wurde seltsam leer und so reglos, als wäre er tot. Seine Augen blickten durch die beiden Männer hindurch auf ferne, unwirtliche Orte.
    Ein Moment angespannter Reglosigkeit verstrich. Dann drehte der Scylvendi sich wortlos um und schritt in die Dunkelheit.
    Die Männer seufzten erleichtert, sahen sich lange an und nahmen dann, um nichts zu riskieren, ihr fingiertes Gespräch wieder auf, taten also genau das, was ihnen befohlen worden war.
    Es muss einen anderen Weg geben, Vater!
    Niemand kam zur Zitadelle des Hundes, nicht einmal verzweifelte Rattenesser.
    Kellhus stand auf einer zerstörten Mauer der Festung und sah auf das dunkle Caraskand mit seinen tausend glimmenden Lichtern hinunter. Jenseits der Stadt flackerten – vor allem im Norden – unzählige Feuer der Armee des

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