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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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die du wochenlang ausgehungert hast«, fuhr der Scylvendi fort. »Auch wenn Conphas Nahrung horten sollte, spielt das keine Rolle. Du hast nur eine Chance: Du musst die Scharlachspitzen zum Handeln bringen, und zwar sofort, ehe der Padirajah seine Cishaurim hierher verlegt. Der Heilige Krieg muss die Belagerer angreifen.«
    »Glaubst du, das sehe ich anders?«, rief Proyas. »Ich habe Eleäzaras schon darum gebeten. Und weißt du, was er sagt? ›Die Scharlachspitzen haben schon zu viele unnötige Verluste erlitten…‹ Unnötige Verluste – dass ich nicht lache! Zehn Tote bei Anwurat, wenn überhaupt! Ein paar mehr in der Wüste: nicht schlecht im Vergleich zu den hunderttausend Gläubigen, die dort gestorben sind! Und dann wurden gestern – Gott behüte! – fünf oder sechs seiner Männer von Chorae getroffen, als sie die letzten Vorräte von Caraskand vernichteten… Alle Kriege sollten so unblutig sein!«
    Proyas hielt inne und merkte, dass er keuchte. Er hatte den Eindruck, wahnsinnig und verwirrt zu sein, als hätte ihn das alte Fieber wieder heimgesucht. Die mächtigen, verwitterten Zinnen des Wachturms schienen zu kreisen. Hätte Triamis diese Mauern doch aus Brot errichtet!
    Cnaiür beobachtete ihn emotionslos. »Dann bist du erledigt.«
    Proyas kratzte sich die Wangen. Unmöglich! Ich hab bestimmt was übersehen!
    »Wir sind verflucht«, murmelte er. »Sie haben Recht… Gott straft uns wirklich!«
    »Was sagst du da?«
    »Dass Conphas und die anderen womöglich Recht haben, was ihn anbelangt.«
    Cnaiürs Miene wurde finster. »Ihn?«
    »Kellhus«, rief Proyas, klatschte in die zitternden Hände und presste die Handflächen zusammen.
    Ich bin ins Stolpern geraten… Ich versage!
    Proyas hatte viele Berichte über Männer gelesen, die sich in Krisenzeiten vergeblich abgemüht hatten, und erkannte nun, dass sein Moment der Schwäche gekommen war. Doch entgegen seinen Erwartungen ließ sich aus diesem Wissen keine Kraft schöpfen. Im Gegenteil – das Wissen, ins Stolpern geraten zu sein, drohte seinen Zusammenbruch noch zu beschleunigen. Er war zu krank… Zu müde.
    »Sie schimpfen auf ihn«, erklärte er mit heiserer Stimme. »Erst nur Conphas, inzwischen aber sogar schon Gothyelk und Gotian.« Proyas atmete schaudernd aus. »Sie behaupten, er sei ein falscher Prophet.«
    »Ist das auch kein Gerücht? Haben sie dir das selbst gesagt?«
    Proyas nickte. »Sie glauben, mit meiner Unterstützung können sie offen gegen ihn vorgehen.«
    »Du würdest einen Krieg innerhalb dieser Mauern riskieren? Inrithi gegen Inrithi?«
    Proyas schluckte und hatte Mühe, Cnaiürs Blick standzuhalten. »Wenn Gott es von mir verlangt, dann ja.«
    »Und woher weiß man, was dein Gott verlangt?«
    Proyas stierte den Scylvendi entsetzt an.
    »Ich…« Er spürte einen jähen Schmerz in der Kehle, und heiße Tränen flossen ihm über die Wangen. Er fluchte innerlich, öffnete den Mund, brachte statt Worten aber nur ein Schluchzen hervor.
    Bitte, Gott!
    Es war zu lange so gegangen. Die Last war zu groß. Jeder Tag, jedes Wort war eine Schlacht! Und die Opfer hatten einfach zu tiefe Spuren hinterlassen. Die Wüste und selbst die Hemoplexie waren nichts gewesen – Achamian dagegen schon! Und Xinemus, den er im Stich gelassen hatte. Er hatte die beiden Männer, die er mehr als alle anderen respektierte, zugunsten des Heiligen Kriegs aufgegeben… Und das war noch immer nicht genug!
    Nichts ist je gut genug!
    »Was soll ich tun, Cnaiür?«, krächzte er. Ein seltsames, die Zähne bleckendes Lächeln bemächtigte sich seiner Züge, und er begann erneut zu schluchzen, vergrub das Gesicht in den Händen und sank gegen die Brüstung. »Bitte!«, rief er. »Cnaiür… Du musst mir sagen, was ich tun soll!«
    Nun war es der Scylvendi, der entsetzt dreinschaute.
    »Geh zu Kellhus«, sagte er schließlich. »Aber ich warne dich«, setzte er hinzu und hob die riesige, vernarbte Faust. »Hüte dein Herz! Versiegle es!« Er senkte den Kopf und blickte so zornig, wie ein Wolf blicken mochte.
    »Geh, Proyas. Geh zu Kellhus und frag ihn selbst.«
     
     
    Wie aus Stein gemeißelt, prunkte das Bett auf einem schwarzen Podium in der Zimmermitte. Die Schleier, die sonst zwischen seinen fünf Pfosten hingen, steckten am smaragdgrünen und goldenen Baldachin. Kellhus lag im Bett, streichelte Esmenets Wange, sah durch ihre errötete Haut und ihr Herz hindurch und folgte all den verräterischen Zeichen bis in den Unterleib.
    Unser Blut, Vater… In einer

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