Der Prinz von Atrithau
Welt voller Unbeholfenheit und Einfalt gab es nichts Wertvolleres.
Das Haus Anasûrimbor.
Die Dûnyain sahen nicht nur tiefere Zusammenhänge – sie sahen auch in die Zukunft. Mochte der Heilige Krieg Caraskand auch überleben und sogar Shimeh zurückerobern: Der eigentliche Krieg begann erst. So viel hatte Achamian ihn gelehrt.
Und nur Nachkommen können den Tod besiegen.
Hast du mich deshalb gerufen, Vater? Liegst du im Sterben?
»Was ist?«, fragte Esmenet und zog die Laken über die Brust.
Kellhus hatte sich abrupt aufgerichtet und saß mit gekreuzten Beinen im Bett. Er spähte durch das von Kerzen erleuchtete Halbdunkel und verfolgte das gedämpfte Poltern draußen.
Dann flog die Flügeltür unvermittelt auf, und der Dûnyain sah den noch immer geschwächten Proyas mit zwei Männern seiner Hundert Säulen kämpfen.
»Kellhus!«, schimpfte der Prinz von Conriya. »Schickt Eure Wachhunde in den Zwinger, oder es fließt Blut!«
Auf ein Zeichen hin ließen ihn die Leibwächter los und bezogen an der Tür Posten. Proyas stand mit bebender Brust da und ließ den Blick durchs Halbdunkel des verschwenderisch eingerichteten Schlafzimmers schweifen. Kellhus musterte ihn mit allen Sinnen. Aus jeder Pore des Prinzen drang Verzweiflung, doch seine Erregung war so groß, dass sie alles andere überdeckte und Genaueres schwer zu erspüren war. Er fürchtete wie alle, dass der Heilige Krieg verloren war. Und wie viele andere gab er Kellhus daran irgendwie die Schuld.
Es ist wichtig, dass er weiß, wer ich bin.
»Was gibt’s, Proyas? Was reitet Euch, hier so ein Spektakel aufzuführen?«
Aber der Prinz hatte Esmenet entdeckt und sah entsetzt drein. Kellhus erkannte die Gefahr sofort.
Er sucht nach Gründen für sein Misstrauen.
Proyas machte einen unsicheren Schritt nach vorn. »Was hat sie hier zu suchen?«, fragte er und blinzelte verwirrt. »Warum ist sie in Eurem Bett?«
Er will es nicht verstehen.
»Sie ist meine Frau. Was führt Euch…«
»Eure Frau?«, rief Proyas ungläubig und fasste sich mit der Hand an die Stirn. »Sie ist Eure Frau?«
Er hat die Gerüchte gehört… Aber die ganze Zeit hat er zu meinen Gunsten angenommen, sie seien aus der Luft gegriffen.
»Die Wüste hat uns alle gezeichnet, Proyas.«
Der Prinz schüttelte den Kopf. »Papperlapapp«, murmelte er und sah dann in plötzlichem Zorn auf. »So ein Unsinn! Sie ist… Sie ist… Akka hat sie geliebt! Akka! Erinnert Ihr Euch nicht mehr an ihn? Er ist Euer Freund gewesen…«
Kellhus senkte den Blick in reuiger Betrübnis. »Wir dachten, er würde es gutheißen.«
»Was gutheißen? Dass sein bester Freund mit dieser Nutte…«
»Ausgerechnet Ihr nehmt Euch heraus, mir in Akkas Namen Vorhaltungen zu machen!«, fauchte Esmenet.
»Was?«, fragte Proyas und erbleichte. »Wie meinst du das?« Er schürzte die Lippen, sein Blick wurde dumpf, und er legte die rechte Hand an die Brust. Erschrecken hatte seine ungestüme Erregung einen Moment lang gelähmt, und Kellhus nutzte diese Gelegenheit.
»Das wisst Ihr längst. Von allen Männern des Heiligen Kriegs dürft Ihr Euch am wenigsten ein Urteil anmaßen.«
Der Prinz von Conriya zuckte zusammen. »Was soll das heißen?«
Jetzt – biete ihm Waffenruhe an, zeig ihm Verständnis, halte ihm seine Schuld vor Augen.
»Bitte«, sagte Kellhus und umwarb ihn mit Worten, dem Klang seiner Stimme und jeder Nuance seiner Miene. »Ihr lasst Euch von Eurer Verzweiflung beherrschen, und ich verstoße gegen die Gesetze der Gastfreundschaft. Proyas, Ihr gehört zu meinen besten Freunden…« Er warf die Laken beiseite und schwang sich aus dem Bett. »Kommt, lasst uns trinken und reden.«
Wie von Kellhus vorhergesehen, ließ Proyas die erste Bemerkung des Dûnyain nicht auf sich beruhen. »Ich wüsste gern, warum ich kein Recht zu urteilen habe. Was soll das heißen?«
Kellhus verzog schmerzlich die Lippen. »Dass Ihr, Proyas, Achamian verraten habt – und nicht wir.«
Dem Prinzen entglitt vor Entsetzen die Mimik. Sein Herz fing an, wild zu klopfen.
Ich muss vorsichtiger vorgehen.
»Nein«, sagte Proyas.
Kellhus schloss die Augen und schien enttäuscht. »Doch. Ihr beschuldigt uns, weil Ihr Euch für verantwortlich haltet.«
»Verantwortlich? Für was?«, stieß der Prinz erschrocken hervor. »Ich habe nichts getan.«
»Alles habt Ihr getan! Ihr brauchtet die Scharlachspitzen, und die Scharlachspitzen brauchten Achamian.«
»Niemand weiß, was mit ihm geschehen ist!«
»Ihr schon! Das sehe
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