Der Prinz von Atrithau
Hungergott Bukris, der Männer verschlang und Haut und Knochen erbrach, zog durch die Straßen von Caraskand.
Überall in der Stadt begannen Männer Jagd auf Katzen, Hunde und bald auch Ratten zu machen, um sie zu essen. Ärmere Adlige ernährten sich vom Blut ihrer Pferde, die sich ihrerseits über jedes Strohdach hermachten, das sie finden konnten. Viele Trupps begannen zu losen, wer sein Pferd zur Versorgung der Kameraden schlachten musste. Wer kein Pferd hatte, grub in der Erde nach Knollen. Die Eingeschlossenen kochten Weinstöcke und sogar Disteln, um ihren wahnsinnigen Hunger zu besänftigen. Auch Leder, das von Sätteln, Jacken oder anderswoher stammte, wurde gekocht und verschlungen. Wenn die Hörner erklangen, hing vielen die Rüstung schief, weil sie ihre Gurte in den Kochtopf geworfen hatten. Hagere Männer irrten auf der Suche nach Essbarem durch die Straßen. Ihren Mienen waren ausdruckslos, ihre Bewegungen so schwerfällig, als ob sie durch Sand gingen. Gerüchten zufolge gab es Männer, die sich an den aufgedunsenen Leichen der Kianene gütlich taten oder in tiefer Nacht einen Mord begingen, um ihren wahnsinnigen Hunger zu stillen.
Im Gefolge des Hungers brachen neue Krankheiten aus. Vor allem einfache Soldaten litten an Skorbut und verloren ihre Zähne. Die Ruhr quälte andere mit Krämpfen und blutigem Durchfall. In vielen Gegenden der Stadt liefen Soldaten ohne Hose herum und suhlten sich – wie manche das mögen – in ihrer Erniedrigung.
Unterdessen eskalierten die Auseinandersetzungen um Kellhus und die Spannungen zwischen denen, die den Prinzen von Atrithau bejubelten, und denen, die ihn verurteilten. Im Rat prangerten Conphas, Gothyelk und sogar Gotian ihn unerbittlich an und behaupteten, er sei ein falscher Prophet, ein Geschwür, das aus dem Heiligen Krieg herauszuschneiden sei. Wer wolle bezweifeln, dass Gott sie bestrafe? Schließlich könne der Heilige Krieg nur einen Propheten haben, und dessen Name sei Inri Sejenus. Proyas, der Kellhus einst wortgewandt verteidigt hatte, hielt sich aus diesen Debatten strikt heraus. Nur Saubon ergriff noch Partei für ihn, aber halbherzig, weil er die nicht verprellen wollte, deren Zustimmung er brauchte, um seinen Anspruch auf Caraskand zu sichern.
Trotzdem wagte niemand, gegen den so genannten Kriegerpropheten anzugehen. Er hatte zigtausend Anhänger, die Zaudunyani, die allerdings in den höheren Ständen weniger zahlreich vertreten waren. Viele erinnerten sich noch an das Wunder in der Wüste, durch das Kellhus den Heiligen Krieg und damit auch jene Lumpen gerettet hatte, die ihn nun ein Gräuel nannten. Streit und Aufstand brachen aus, und erstmals droschen Inrithi mit dem Schwert aufeinander ein. Ritter sagten sich von ihren Herren los, Brüder verließen einander, Landsleute gerieten sich in die Haare. Nur Gotian und Conphas schienen in der Lage, sich die Loyalität ihrer Männer zu bewahren.
Wenn die Hörner erklangen, vergaßen die Inrithi dennoch ihre Meinungsverschiedenheiten. Sie rafften sich aus der Apathie von Krankheit und Übelkeit auf und kämpften mit einer Begeisterung, die nur die kannten, die Gott wirklich leiden ließ. Den angreifenden Heiden kam es vor, als würden Tote die Mauern verteidigen. Am sicheren Lagerfeuer erzählten die Kianene einander flüsternd von Wichten, verdammten Seelen und einem Heiligen Krieg, der schon vernichtet war und doch weiterkämpfte – so groß war sein Hass.
Caraskand war keine Stadt, sondern das Elend selbst. Sogar die von Triamis dem Großen errichteten Mauern schienen zu stöhnen.
Das luxuriöse Anwesen erinnerte Serwë an ihre trägen Tage als Konkubine des Hauses Gaunum. Durch die Säulenreihe am anderen Ende des Zimmers sah sie Caraskand auf den Hügeln. Halb entblößt lag sie auf dem grünen Sofa. Kaum hatte sie ihren rosigen Jungen an die Brust gelegt und ihn zu stillen begonnen, hörte sie die Tür aufgehen. Das ist sicher ein Haussklave, dachte sie und schnappte daher so erstaunt wie entzückt nach Luft, als sie eine Hand des Kriegerpropheten an ihrem Hals spürte. Die andere strich sanft den Rücken des Säuglings hinunter und berührte dabei ihre Brust.
»Was machst du denn hier?«, fragte sie und hob den Kopf, um ihm einen Kuss auf die bärtigen Lippen zu geben.
»Es ist viel los«, sagte er sanft. »Da wollte ich mich vergewissern, dass du in Sicherheit bist… Wo ist Esmi?«
Es war immer wieder seltsam, ihn so einfache Dinge fragen zu hören. Es machte ihr bewusst,
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