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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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über rosafarbene Marmormauern hinweg einen Blick auf angestrahlte Statuen zu gewähren. Am Nachthimmel standen viele schwarze Wolken, doch der Nagel des Himmels leuchtete hell und funkelnd aus den dunklen Tiefen des Firmaments.
    Die Nascenti verstummten plötzlich und senkten gleichzeitig das Kinn. Esmenet blickte sich um und sah Kellhus aus einem golden wirkenden Zimmer auf die Terrasse treten. Ein Schattenfächer glitt vor ihm her, als er an einigen brennenden Kohlenbecken vorbeiging. Zwei einheimische Jungen mit nacktem Oberkörper flankierten ihn und trugen Rauchfässer, aus denen stahlblauer Rauch quoll. Serwë folgte ihm mit einigen Männern, die Kettenhemd und Helm trugen.
    Esmenet ärgerte sich, den Atem angehalten zu haben. Wie konnte er ihr Herz so zum Pochen bringen? Als sie an sich heruntersah, bemerkte sie, dass sie die Rechte über die Tätowierung auf dem linken Handrücken gelegt hatte.
    Diese Zeiten sind vorbei.
    Sie kam aus dem Garten auf die Terrasse und begrüßte Kellhus am Kopf des Tisches. Er lächelte, hielt die Finger ihrer linken Hand fest und gab ihr den Platz gleich rechts von sich. Sein weißer Seidenumhang wehte im Abendwind, und irgendwie wirkte das Zwillingsschwert, mit dem Saum und Manschetten bestickt waren, völlig angebracht. Vermutlich war Serwë es gewesen, die sein Haar zu einem Kriegszopf der Galeoth geknüpft hatte. Sein Bart, den er jetzt geflochten und eckig geschnitten wie die Ainoni trug, glänzte im Schein der Kohlenfeuer bronzefarben. Wie immer ragte ihm der lange Griff seines Schwerts über die linke Schulter. Enshoiya nannten die Zaudunyani seine Waffe inzwischen: Gewissheit.
    Seine Augen funkelten unter buschigen Brauen. Wenn er lächelte, bildeten sich zahllose Falten um Mund- und Augenwinkel – ein Geschenk der Wüstensonne.
    »Ihr seid meine Äste«, sagte er. Seine Stimme war tief und reich an Klangfarben und schien aus Esmenets Kehle zu dringen. »Ihr allein kennt die Vergangenheit. Nur ihr Vasallen des Kriegerpropheten wisst, was euch bewegt.«
    Während er die Nascenti über das informierte, was er schon mit ihr besprochen hatte, dachte Esmenet über Xinemus’ Lager und darüber nach, wie anders die damaligen Zusammenkünfte doch gewesen waren. Nur Monate waren vergangen, und doch schien sie inzwischen ein ganzes Leben gelebt zu haben. Sie runzelte die Stirn darüber, wie fremd ihr das alles nun war: Xinemus, der Hof hielt und Frohsinn und Unfug verbreitete; Achamian, der ihre Hand zu fest drückte, wie es manchmal seine Art war, und zu oft Blickkontakt mit ihr suchte; Kellhus mit Serwë – damals war er kaum mehr als ein Versprechen gewesen, obwohl es Esmenet vorkam, als hätte sie ihn da schon geliebt. Heimlich.
    Unvermittelt sehnte sie sich nach Dinchases, dem ironischen Hauptmann des Marschalls, und erinnerte sich, ihn zuletzt gesehen zu haben, als er mit Zenkappa auf Xinemus wartete. Damals hatte sein kurzes Haar silbern in der Sonne Shigeks geglänzt. Wie dunkel die damaligen Tage nun wirkten. Wie herzlos und grausam!
    Was mochte Dinchases widerfahren sein? Und Xinemus…
    Ob er Achamian gefunden hatte?
    Sie litt einen Augenblick lang entsetzlich, doch Kellhus’ melodiöse Stimme rettete sie.
    »Falls mir etwas passieren sollte«, sagte er gerade, »werdet ihr auf Esmenet hören, wie ihr auf mich hört…«
    Denn ich bin sein Werkzeug.
    Bei diesen Worten tauschten die Nascenti sorgenvolle Blicke. Esmenet sah genau, was sie dachten: Wie kann der Meister nur seinen engsten Gefolgsleuten eine Frau überordnen? Noch immer also rangen sie mit dem Dunkel ihrer Vergangenheit und hatten Kellhus – anders als Esmenet – noch nicht völlig angenommen.
    Eingefleischte Borniertheit ist kaum totzukriegen, dachte sie ziemlich verärgert.
    »Aber Meister«, sagte Werjau, der Kühnste unter ihnen. »Du sprichst, als könntest du uns bald genommen werden!«
    Ein Moment verging, ehe sie ihren Fehler bemerkte: Was ihnen Sorgen bereitete, war die Tragweite seiner Worte – nicht die Aussicht, sich seiner Gemahlin unterordnen zu müssen.
    Kellhus schwieg eine Weile und sah ernst von einem Gesicht zum anderen. »Wir stehen vor einem Krieg«, sagte er dann, »der draußen wie drinnen geführt wird.«
    Obwohl Esmenet die Gefahr, von der Kellhus sprach, schon mit ihm erörtert hatte, bekam sie eine Gänsehaut und spürte, dass Serwës Hände die ihren umklammerten. Sie wollte das Mädchen beruhigen, musste aber feststellen, dass Serwë die Hände ausgestreckt hatte, um sie

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