Der Prinz von Atrithau
Mann, der sah, was in ihrer Mitte verborgen war. Sein Leben lang hatte Eleäzaras – ein Hexenmeister, der in die unzugänglichsten Winkel der Welt spähen konnte – sich gefragt, was die Heiligen zu sehen glaubten. Nun wusste er es.
Bosheit.
Sarcellus hungerte nach Blut und der Befriedigung seiner sadistischen Lust, vor allem aber nach Erfüllung, denn alles an ihm war den Zielen seiner Schöpfer untergeordnet.
Doch die Baumeister hatten ihn schlau konstruiert. Nur sehr selten konnte er Befriedigung empfinden – zum Beispiel, als er Kellhus’ Frau umbrachte.
Und nun, da Achamian – dieser verwünschte Chigra! – mit der Forderung zurückgekehrt war, den Dûnyain zu befreien, hatte Sarcellus sofort gewusst, was zu tun war. Als er aus dem Palast des Sapatishah kam, war ihm vor Verlangen schwummerig.
Obwohl er ungemein fein ersonnen war, lebte er in einer weit einfacheren Welt als die Menschen. Für ihn gab es keine widerstreitenden Leidenschaften, und er musste sich nicht disziplinieren, denn sein Begehren kannte nur ein Ziel: den Willen seiner Schöpfer zu erfüllen.
So raffiniert war er konstruiert.
Der Kriegerprophet musste sterben. Da gab es keine störenden Empfindungen, keine Furcht oder Reue. Sarcellus würde Kellhus töten, ehe er gerettet werden konnte, und dadurch in Ekstase geraten.
Als Cnaiür sah, welchen Weg Sarcellus einschlug, wusste er sofort wohin: Er ritt in den Pott hinunter, genauer gesagt dorthin, wo Gotian und die Tempelritter Quartier bezogen hatten und wo der Dûnyain und Serwë am Umiaki hingen.
Der Scylvendi spuckte aus und rief nach seinem Pferd.
Als er aus dem äußeren Hof geritten kam, war Sarcellus nicht mehr zu sehen. Er galoppierte die Gassen unterhalb des Palasts hinunter, obwohl sein Pferd in sehr schlechter Verfassung war, sprengte an von Glasscherben gekrönten Gartenmauern, lange verlassenen Läden und hohen Mietskasernen entlang und bog nur dort ab, wo die Straßen abwärts führten. Wie er sich erinnerte, lag Csokis fast ganz unten im Pott.
Die Luft schien vor Vorzeichen zu flirren.
Immer wieder gingen ihm Bilder von Kellhus durch den Kopf. Er spürte wieder die Hand des Dûnyain im Nacken, als der ihn damals im Hethanta-Gebirge über dem Abgrund hatte baumeln lassen, und einen furchtbaren Moment lang konnte er kaum atmen oder schlucken. Erst als er mit den Fingerspitzen über die verschorfte Wunde an seiner Kehle – sein jüngstes Swazond – strich, legte sich seine Panik.
Wie kann er mir so zusetzen ?
Aber er hatte ja schon von Anasûrimbor Moënghus gelernt, dass die Dûnyain aus allen Menschen Schüler machten – ob die sie nun achteten oder nicht.
Selbst meinen Hass nutzt er zu seinem Vorteil!
So sehr ihn das auch wurmte – viel mehr setzte ihm die Sorge zu, Moënghus könnte ihm entkommen. Kellhus hatte damals im Lager der Utemot Recht gehabt: Cnaiür wollte nur eine Beute und konnte nicht von Surrogaten leben. Er war an den Dûnyain gefesselt wie der an Serwës Leichnam – nur dass Cnaiürs Fesseln aus Hass, nicht aus Hanf waren.
Er würde jede Kränkung ertragen und jede Gräueltat begehen, um seine Rachsucht zu stillen. Er würde eher die Welt in Flammen setzen als den Hass aufgeben, der sein Kraftzentrum war. Hass hatte ihm das Häuptlingszelt gesichert, seinen Körper mit heiligen Narben übersät, ihn auf dem Weg durch die Steppe vor dem Dûnyain geschützt und ihn unempfindlich gegen die Avancen der Männer des Heiligen Kriegs gemacht.
Nur dem Hass verdankte er es, noch bei Verstand zu sein.
Natürlich hatte der Dûnyain das gewusst.
Nach der Begegnung mit Moënghus hatte Cnaiür zu den Sitten und Gebräuchen seines Stammes Zuflucht genommen und gedacht, er könnte an der Überlieferung gesunden. Nachdem Moënghus ihm die Traditionen der Utemot madig gemacht hatte, schienen sie ihm nun umso wertvoller – wie Wasser in Zeiten der Dürre. Jahrelang gab er sich alle Mühe, auf den Wegen seiner Stammesbrüder zu wandeln. Männer nehmen und werden nicht genommen, lehrten die Geschichtssänger. Männer versklaven und werden nicht versklavt. Also wollte er der beste Krieger werden, denn das wichtigste ungeschriebene Gesetz lautete: Ein echter Mann erobert und lässt sich nicht ausnutzen.
Darum bereitete ihm der Pakt mit Kellhus solche Qual. Ständig hatte er mit Argusaugen über sein Herz und seine Seele gewacht, ohne dass ihm in den Sinn gekommen wäre, dass der Dûnyain ihn durch Manipulation seiner Umgebung beherrschen könnte.
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