Der Prinz von Atrithau
Himmel. Nun sah Cnaiür auch den Bronzering, an dem Serwë und der Dûnyain sich langsam drehten wie die Seiten einer Münze.
Warum ist sie nur tot?
Wegen dir, du Heulsuse, glaubte er den Dûnyain flüstern zu hören – weswegen denn sonst?
»Und warum gerade jetzt?«, hörte Cnaiür den Hochmeister durch die aufkommende Unruhe rufen.
»Weil niemand… «, donnerte der Scylvendi mit gewaltiger Stimme, »… seinen Groll ermessen kann!«
Trotz der Rauchfässer, die die Hohen Herren zusätzlich hatten bringen lassen, musste Achamian beim Gestank des Kopfs würgen. Er erklärte, wie die Spinnenbeine sich falteten, und hielt das verwesende Haupt sogar hoch, um vorzuführen, wie zwei Glieder sich passgenau um die Augenhöhlen legten. Von einigen Ausrufen des Ekels abgesehen, sahen die versammelten Adligen sprachlos entsetzt zu. Im Laufe seiner Demonstration hatte ein Sklave Achamian ein nach Orangen duftendes Halstuch gereicht. Als der Hexenmeister es nicht mehr aushielt, presste er das Tuch vors Gesicht und befahl mit einer Handbewegung die Entfernung des grässlichen Objekts.
Eine Zeit lang herrschte im alten Ratssaal fassungsloses Schweigen. Die Rauchfässer vernebelten gnädig die alptraumhafte Luft.
»Darum müssen wir diesen Hochstapler also freilassen?«, fragte Conphas schließlich.
Achamian musterte ihn und spürte eine Falle. Er hatte von Anfang an gewusst, dass Conphas sein Hauptgegner war. Proyas hatte den Hexenmeister gewarnt, ihm sei nie jemand begegnet, der die Kunst des Jnan so ausgezeichnet beherrsche. Statt ihm zu antworten, beschloss Achamian, ihn aus der Reserve zu locken und seine Rolle in der ganzen Angelegenheit offenzulegen.
Ich muss ihn in Verruf bringen.
»Ihr habt Eure Standesgenossen lange genug zum Narren gehalten, Ikurei.«
Conphas lehnte sich im Stuhl zurück und strich gelangweilt mit den Fingerspitzen über die in seinen Brustharnisch geprägten kaiserlichen Sonnen, als wollte er Achamian an die Chorae erinnern, die darunter versteckt lagen. Diese Geste war womöglich wirkungsvoller als jede höhnische Bemerkung.
»Das klingt«, sagte Proyas, »als wüsste Conphas längst von diesen Wesen.«
»Tut er ja auch.«
»Der Hexenmeister bezieht sich auf eine alte Geschichte«, gab Conphas zurück. Er trug seinen blauen Generalsumhang nach Art der Nansur über die linke Schulter nach vorn drapiert, warf ihn nun aber unvermittelt zurück, so dass sein Saum auf den kupfernen Teppich fiel. »Als der Heilige Krieg noch vor Momemn lag, entdeckte mein Onkel, dass sein Oberster Berater in Wahrheit eines dieser… Wesen war.«
»Skeaös?«, rief Proyas. »Soll das heißen, Skeaös war einer dieser Hautkundschafter?«
»Genau. Da er für einen Mann seines Alters kaum zu bändigen war, ließ mein Onkel die Kaiserlichen Ordensleute kommen. Als sie hartnäckig behaupteten, es sei keine Hexenkunst im Spiel, musste ich unseren lieben Gotteslästerer Achamian hier holen, damit er diese Einschätzung bestätigte oder widerlegte. Dann wurden die Dinge…«, er hielt inne und besaß tatsächlich die Kühnheit, Achamian zuzuzwinkern, »… etwas unschön.«
»Und?«, polterte Gothyelk gewohnt schroff. »War nun Hexenkunst im Spiel oder nicht?«
»Nein«, antwortete Achamian. »Genau das macht diese Wesen ja zu einer tödlichen Gefahr. Wären sie Produkte der Hexenkunst, würden sie schnell entdeckt. Doch anscheinend ist es geradezu unmöglich, sie aufzuspüren. Und an diesem Punkt…«, sagte er und funkelte Conphas böse an, »… kommt Anasûrimbor Kellhus ins Spiel: Er allein nämlich vermag sie zu erkennen!«
Rufe hallten durch den Saal.
»Woher weißt du das?«, fragte Hulwarga.
Achamian straffte sich und sah Kellhus und Serwë vor seinem inneren Auge einmal mehr unter dem schwarzen Baum kreisen.
»Er hat es mir gesagt.«
»Gesagt?«, knurrte Gothyelk. »Wann?«
»Worum handelt es sich bei diesen Wesen eigentlich?«, fragte Chinjosa.
»Er hat Recht!«, rief Saubon. »Das ist die Krankheit, unter der wir leiden! Es ist so, wie ich gesagt habe: Der Kriegerprophet ist gekommen, um uns zu reinigen!«
»Ihr seid zu unüberlegt«, stieß Conphas hervor. »Ihr versucht, die wichtigsten Fragen unter den Tisch zu kehren!«
»Allerdings!«, sagte Proyas. »Die Frage zum Beispiel, warum Ihr im Rat nichts über diese Wesen habt verlauten lassen, obwohl Ihr doch wusstet, dass sie unter uns sind!«
»Langsam, langsam«, rief Conphas und zog die Brauen höhnisch kraus. »Was hätte ich
Weitere Kostenlose Bücher