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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Mandati tun, wenn du sie informierst?«
    »Sie werden dich nach Atyersus bringen, dich dort einsperren und verhören… Nun, da sie wissen, dass die Rathgeber Amok laufen, werden sie alles tun, um den Anschein von Kontrolle zu wahren. Schon deshalb werden sie dich gefangen setzen.«
    »Dann darfst du es ihnen nicht sagen, Akka!« In diesen Worten hatten Wut und Sorge gelegen – eine gereizte Verzweiflung, die ihn an Inrau erinnert hatte.
    »Und die Zweite Apokalypse? Was ist damit?«
    »Bist du dir denn sicher genug, um ein Leben aufs Spiel zu setzen?«
    Ein Leben für die Welt. Oder die Welt für ein Leben.
    »Versteh mich doch, Kellhus – denk daran, was auf dem Spiel steht!«
    »Wie könnte ich an etwas anderes denken?«
    Achamian hatte einmal gehört, dass die Kultpriesterinnen von Yatwer stets zwei Opfertiere – meist Frühlingslämmer – zum Altar zerrten, von denen eins unterm Messer starb, während das andere die heilige Prozedur mit ansah und erst beim nächsten Opfergang getötet wurde. So wusste jedes Tier, das auf den Altar kam, wenn auch in trüber Weise, was ihm widerfahren würde. Für die Anhänger des Yatwer-Kults war das Ritual allein nicht genug: Damit aus zufälligem Töten echtes Opfern wurde, war seitens der Tiere Erkennen erforderlich. Für zehn Bullen müsse ein Lamm geopfert werden, hatte ihm mal eine Priesterin erzählt, als gäbe es da feste Wechselkurse.
    Ein Lamm für zehn Bullen. Damals hatte Achamian gelacht. Nun verstand er.
    Früher hatte ihn sein Dilemma auf verdruckste Weise bestürmt – wie eine geheime Perversion. Nun aber, da Kellhus Bescheid wusste, bestürmte es ihn rückhaltlos. Früher war Achamian in Gesellschaft seines bemerkenswerten Freundes mitunter zur Ruhe gekommen und hatte tun können, als sei er nur ein einfacher Lehrer. Nun aber stand das Dilemma zwischen ihnen und war immer da – ob Achamian die Augen abwandte oder nicht. Es gab kein Verstellen oder Vergessen mehr – nur noch das Messer der Tatenlosigkeit.
    Und Wein. Süßen, unverdünnten Wein.
    Als sie das halb zerstörte Asgilioch erreichten, begann Achamian eher aus Verzweiflung, Kellhus Algebra, Geometrie und Logik zu lehren. Das schien ihm der beste Weg, um Klarheit an die Stelle verletzender Verwirrung, Gewissheit an die Stelle nagenden Zweifels treten zu lassen. Während die anderen zuschauten und dabei lachten, sich am Kopf kratzten oder – im Falle des Scylvendi – eine finstere Miene zogen, verbrachten Achamian und Kellhus Stunden damit, Beweise auf den nackten Erdboden zu kratzen. Binnen Tagen entwickelte der Prinz von Atrithau neue Axiome und entdeckte Theoreme und Formeln, die Achamian nie für möglich gehalten hätte und die ihm in den klassischen Schriften nie begegnet waren. Kellhus bewies ihm sogar, dass der in den Syllogismen dargelegten Logik des Ajencis eine einfachere Logik voranging, die die Beziehungen zwischen ganzen Sätzen behandelte, nicht die zwischen Subjekt und Prädikat, und warf mit ein paar Stockstrichen im Sand zweitausend Jahre Verstehen und Einsicht über den Haufen.
    »Wie machst du das bloß?«, hatte Achamian gerufen.
    Kellhus hatte die Achseln gezuckt. »Ich hab es eben gesehen.«
    Er ist hier und doch nicht hier, hatte Achamian paradoxerweise gedacht. Wenn alle Menschen die Dinge von dem Punkt aus betrachteten, an dem sie standen, dann stand Kellhus anderswo – das war nicht zu leugnen. Aber stand er auch jenseits von Drusas Achamians Urteilsvermögen?
    Was für eine Frage! Er brauchte dringend mehr zu trinken.
    Achamian wühlte in seinem Rucksack, zog das Schema hervor, das er – es schien eine halbe Ewigkeit her – auf der Reise von Sumna nach Momemn gezeichnet hatte, hielt es in den Schein des Feuers und blinzelte ein paar Mal. Alle Namen, die er da vermerkt hatte, waren verbunden, nur nicht ANASÛRIMBOR KELLHUS.
    Beziehungen. Wie bei Arithmetik und Logik lief letztlich alles darauf hinaus. Achamian hatte all die Beziehungen mit Tinte nachgezogen, deren er sicher war (zum Beispiel die Verbindung zwischen den Rathgebern und dem Kaiser), aber auch die, deren Bestehen er nur annahm oder fürchtete (zum Beispiel die zwischen Maithanet und Inrau). Tintenstriche: einer für die Infiltration des Kaiserhofs durch die Rathgeber, ein anderer für den Mord an Inrau, ein weiterer für den Krieg der Scharlachspitzen gegen die Cishaurim, ein vierter für die Rückeroberung Shimehs durch den Heiligen Krieg, und so fort. Tintenstriche für Beziehungen. Ein dünnes

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