Der Prinz von Atrithau
schwarzes Skelett.
Aber wo und wie passte Kellhus in dieses Schema?
Achamian kicherte plötzlich und musste sich beherrschen, das Blatt nicht ins Feuer zu werfen. Waren Beziehungen nicht eigentlich nur Rauch? Nicht Tinte, sondern Rauch? Schwer zu erkennen und unmöglich zu packen. Und war das nicht das Problem? Das Problem mit allem?
Der Gedanke an Rauch ließ Achamian aufstehen. Er schwankte kurz und bückte sich dann nach seinem Rucksack. Wieder kam ihm der Gedanke, das Schema ins Feuer zu werfen, doch er besann sich eines Besseren und stopfte es zu seinen Habseligkeiten zurück, denn er hatte reiche Erfahrung mit Schnitzern, die ihm in betrunkenem Zustand unterlaufen waren.
Den Rucksack über der einen, Xinemus’ Weinschlauch über der anderen Schulter, stolperte er in die Dunkelheit, lachte in sich hinein und dachte: Ja, Rauch… Ich brauch dringend etwas zu rauchen…
Und warum auch nicht? Die Welt stand kurz vor dem Untergang.
Als die Sonne hinter den Unaras-Bergen versank, wurde aus jedem Feuer ein leuchtender Kreis, bis das Lager sich in Goldmünzen auf schwarzem Tuch verwandelt hatte. Da die Leute aus Conriya mit als Erste in Asgilioch angelangt waren, hatten sie ihre Zelte an den Hängen direkt unter der Festung errichtet, wo sie jederzeit an Wasser kamen. Daher stieg Achamian immer tiefer in eine scheinbar stets dunklere, rauere Unterwelt.
Stolpernd kam er voran und erkundete die finsteren Gassen zwischen den Zelten. Er kam an vielen Menschen vorbei: an Zechern, die von Lager zu Lager gingen, an Betrunkenen, die Latrinen suchten, an Sklaven auf Botengängen und sogar an einem singenden Priester, der den Kadaver eines Falken an einer Lederschnur schwang. Ab und an verlangsamte er seinen Schritt und musterte die erröteten Gesichter derer, die sich am Feuer versammelt hatten, lachte über ihre Streiche oder dachte über ihre finsteren Blicke nach. Er sah zu, wie sie herumstolzierten und sich in Pose warfen, sich auf die Brust schlugen und die Berge angrölten. Bald würden sie über die Heiden herfallen. Bald würden sie gegen ihren verhassten Feind kämpfen. »Gott hat unsere Schiffe verbrannt!«, hörte Achamian einen halbnackten Galeoth erst auf Scheyisch, dann in seiner Muttersprache brüllen: »Wossen het Votta grefearsa!«
Regelmäßig hielt er an, um in die Dunkelheit in seinem Rücken zu spähen. Das war eine alte Angewohnheit von ihm.
Nach einiger Zeit stellte er fest, dass er müde war und fast keinen Wein mehr hatte. Er hatte darauf vertraut, dass die Schicksalsgöttin Anangkë ihn den Tross mit seinen leichten Mädchen finden lassen würde, denn schließlich wurde sie auch die Hure genannt. Doch sie hatte ihn in die Irre geführt – genau wie sonst auch. Daher begann er, sich an den Lagerfeuern zu orientieren, um sein Ziel zu finden.
»Hier bist du falsch, mein Freund«, sagte ihm ein älterer Mann, dem die Vorderzähne fehlten. »Hier gibt’s nur Maultiere – Ochsen und Maultiere.«
»Gut«, meinte Achamian und langte sich nach Art der Tydonni ans Gemächt, »dann stimmen wenigstens die Proportionen.« Der alte Mann und seine Kameraden fingen lauthals an zu lachen und luden Achamian ein, sich zu ihnen ans Feuer zu setzen.
Als erfahrener Reisender war Achamian die Gesellschaft kriegerischer Fremder gewohnt, und eine Zeit lang genoss er ihre Geselligkeit, ihren Wein und seine Anonymität. Doch als ihre Fragen zu unverblümt wurden, dankte er ihnen für die Gastfreundschaft und verabschiedete sich.
Von Trommeldröhnen angezogen, querte Achamian einen offenbar verlassenen Teil des Lagers und landete unvermittelt beim Tross. Plötzlich schien alle Aktivität im Dunkel zwischen den Feuern stattzufinden. Bei jedem Schritt stieß er jemandem gegen die Schulter oder den Rücken. Mancherorts drängte er sich in fast völliger Dunkelheit durch die Menge und sah allenfalls Hinterköpfe, Schultern und mitunter ein Gesicht im fahlen Licht, das der Nagel des Himmels warf. Anderenorts steckten Fackeln im Boden – sei es für Musiker, Kaufleute oder vor ledervertäfelten Bordellen. In einigen Gassen hingen sogar Laternen. Er sah, wie sich junge Männer des Stoßzahns – halbe Kinder eigentlich – nach zu viel Alkohol übergaben. Er beobachtete, wie blutjunge Mädchen dicke Krieger hinter Vorhänge zogen. Er entdeckte sogar einen geschminkten Jungen, der so ängstlich wie verheißungsvoll blickte, während ein Mann nach dem anderen an ihm vorbeiging. Er sah Handwerker in Buden ihre
Weitere Kostenlose Bücher