Der Prinz von Atrithau
drehen.
Wenn die Rathgeber Skeaös nachbilden konnten – vermochten sie dann nicht auch Esmenet zu imitieren? Wenn sie von Inrau wussten, dann sehr wahrscheinlich auch von ihr! Gab es einen besseren Weg, einen unglücklichen Ordensmann hereinzulegen, als…
Verfolge ich etwa einen Hautkundschafter?
Vor seinem geistigen Auge sah er, wie Geshrunnis Leiche aus dem Sayut gezogen wurde. Der Hauptmann der Javreh war ermordet und geschändet worden.
Gütiger Sejenus, sie haben sein Gesicht geraubt. Ob Esmenet das Gleiche widerfahren war?
»Esmi!«, brüllte er und rannte in die Dunkelheit. »Esssmii!!«
Erstaunlicherweise hielt sie mit ihrem Begleiter im Licht einer Fackel an. Hatten seine Rufe sie aufgeschreckt oder…
Achamian kam stolpernd vor ihr zum Stehen. Es hatte ihm die Sprache verschlagen. Er torkelte.
Sie war es nicht! Die braunen Augen waren schmaler, die Wangen zu hoch. Sie war es nur beinahe. Beinahe Esmenet.
»Noch so ein Verrückter«, sagte sie verächtlich zu ihrem Begleiter.
»Ich hab gedacht…«, murmelte Achamian. »Ich hab gedacht, Ihr wärt jemand anders.«
»Das Mädchen kann einem leid tun«, höhnte sie und wandte sich ab.
»Nein, wartet! Bitte…«
»Bitte was?«
Achamian blinzelte Tränen aus den Augen. Wie ähnlich diese Frau Esmenet sah! »Ich brauche dich«, flüsterte er. »Ich brauche deinen… deinen Trost.«
Unvermittelt packte der Thunyeri ihn an der Kehle, schlug ihm fest in den Bauch und bellte: »Kundrout! Parasafau ferautin kun dattas!« Achamian hustete atemlos und krallte sich panisch an den mächtigen Oberarm seines Angreifers. Dann knallten ihm Schotter und Fels gegen Brust und Wange. Der Mann musste ihn mit voller Wucht zu Boden gestoßen haben. Ob er nun eine Gehirnerschütterung hatte? Jedenfalls war ihm schwarz vor Augen. Oder doch dunkelgrau. Jemand schrie. Er schmeckte Blut. Dann sah er verschwommen, wie der zerzauste Krieger auf ihn spuckte.
Er krümmte sich vor Schmerz, rollte sich auf die Seite, zwang sich schluchzend auf die Knie und sah die beiden in der Menschenmenge verschwinden.
»Esmi!«, heulte er. »Esmenet, bitte!«
Was für ein altmodischer Name.
»Esssmiii!«
Komm zurück…
Dann spürte er die Berührung und hörte die Stimme.
»Du suchst wohl noch immer Stöckchen… Müder alter Hund.«
Drohende Blicke im Fackelschein.
Sie hatte ihn in ihre schlanken Arme geschlossen. Gemeinsam stolperten sie durch eine Galerie düsterer Gesichter. Sie roch nach Kampfer und Sesamöl – wie ein Kaufmann der Fanim. Konnte das ihr Geruch sein?
»Gütiger Seja, Akka, du siehst furchtbar aus.«
»Esmi?«
»Ja, ich bin’s, Akka. Ich.«
»Aber dein Gesicht…«
»Das war so ein undankbarer Galeoth.« Sie lachte bitter. »So ist das nun mal bei den Männern des Stoßzahns und ihren Huren: Wenn du es ihnen nicht besorgen kannst, schlag sie.«
»Ach, Esmi…«
»Abwarten! Wenn deine Prellungen erst anschwellen, sehe ich im Vergleich dazu wie eine adlige Jungfrau aus. Hast du mich schreien hören, als er dir ins Gesicht trat? Was hast du nur gemacht?«
»Ich weiß nicht recht… Ich hab nach dir gesucht…«
»Sch, Akka… Sch… Jetzt nicht. Später.«
»Sag bitte meinen Namen… Sag ihn bitte!«
»Drusas Achamian… Akka.«
Und er schluchzte so sehr, dass er ihr Weinen zunächst nicht bemerkte.
Ein gemeinsamer Impuls ließ sie hinter einem dunklen Zelt verschwinden, wo sie auf die Knie fielen und sich umarmten.
»Du bist es wirklich…«, murmelte Achamian und sah den Mond in ihren nassen Augen gespiegelt.
Sie lachte und schluchzte. »Ja, ich bin’s wirklich…«
»Warum hast du Sumna verlassen?«
»Aus Angst«, flüsterte sie und küsste ihm Stirn und Wangen. »Warum hab ich nur immer Angst?«
»Weil du lebst.«
Sie küssten sich leidenschaftlich, nestelten im Dunkeln an ihren Kleidern, zerrten sie herunter und liebten sich gierig.
»Nie wieder«, sagte Achamian.
»Versprochen?« Sie wischte sich Tränen ab und schniefte.
»Versprochen – kein Mensch, kein Orden und keine Bedrohung, nichts soll uns je wieder trennen.«
»Nichts«, seufzte sie.
Eine Zeit lang schienen sie eins zu sein und hatten keine Furcht.
Später tauschten sie Zärtlichkeiten und flüsterten im Dunkeln süße Worte – Entschuldigungen für längst vergebene Dinge. Irgendwann fragte Achamian Esmenet, wo sie ihre Habseligkeiten aufbewahre.
»Ich bin ausgeraubt worden«, sagte sie und versuchte zu lächeln. »Aber ein paar Sachen sind
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