Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
mir geblieben. Nicht weit von hier.«
    »Bleibst du bei mir?«, fragte er ernst und mit Tränen in den Augen. »Kannst du?«
    Er sah sie schlucken und blinzeln.
    »Ja.«
    Lachend stand er auf. »Dann lass uns deine Sachen holen.«
    Sogar im Dunkeln konnte er die Angst in ihren Augen sehen. Sie schlang sich die Arme um den Leib, als wollte sie sich einschärfen, nicht durchzudrehen. Dann ließ sie die rechte Hand in seine ausgestreckte Linke gleiten.
    Sie schlenderten wie ein Liebespaar auf dem Basar. Mitunter sah Achamian ihr in die Augen und lachte ungläubig.
    »Ich dachte, du wärst für immer fort«, sagte er einmal.
    »Aber ich bin die ganze Zeit hier gewesen.«
    Statt zu fragen, wie sie das meinte, lächelte Achamian nur. Im Moment waren ihm ihre Geheimnisse egal. So betrunken war er nicht, dass er gedacht hätte, alles wäre in Ordnung. Etwas hatte sie aus Sumna vertrieben, zum Heiligen Krieg geführt und sie gezwungen, ihn zu meiden. Aber im Moment spielte das alles keine Rolle. Ihre Gegenwart war das einzig Wichtige.
    Lass diese Nacht andauern. Bitte – gib mir diese eine Nacht.
    Sie plauderten über Belangloses, machten Witze über diesen und jenen Passanten und erzählten sich Geschichten über all die Merkwürdigkeiten, die sie im Heiligen Krieg gesehen hatten. Die Tabuzonen waren klar abgesteckt, und vorläufig umschifften sie alle schmerzlichen Themen.
    Sie hielten an und sahen einen Gaukler ein Lederseil in einen Korb voller Skorpione tauchen. Als er es herauszog, wimmelte es von Gliedmaßen aus Chitin, Scheren und stechenden Schwänzen. Dies, rief der Mann, sei der berühmte Skorpionzopf, den die Könige von Nilnamesh noch immer verwendeten, um Mord und Totschlag zu bestrafen. Als ringsum Zuhörer versammelt waren, um den Zopf aus der Nähe zu betrachten, hob er ihn hoch, damit ihn jeder sehen konnte, und ließ ihn plötzlich über ihren Köpfen kreisen. Frauen kreischten, Männer duckten sich oder hoben schützend die Hände, doch nicht ein Skorpion flog vom Seil, und der Gaukler schrie über den Aufruhr hinweg, das Seil sei mit einem Gift getränkt, das die Scheren der Skorpione betäube, und ohne das Gegengift blieben sie am Leder kleben, bis sie stürben.
    Den Großteil der Vorführung beobachtete Achamian begeistert Esmenets Miene und war die ganze Zeit darüber erstaunt, dass sie ihm so neu vorkam. Er entdeckte Dinge, die ihm vorher nie aufgefallen waren: die Sommersprossen auf Nase und Wangen, das außergewöhnliche Weiß ihrer Augen, die kastanienbraunen Flecken in ihrem üppigen schwarzen Haar, der kraftvolle Umriss ihres Rückens und ihrer Schultern – alles an ihr schien ihm verzaubernd neu zu sein.
    Ich muss sie immer so sehen. Als die Fremde, die ich liebe…
    Wenn sich ihre Blicke trafen, lachten sie stets, als feierten sie ein zufälliges Wiedersehen, sahen aber immer gleich weg, als wüssten sie genau, dass ihr flüchtiges Glück einer näheren Betrachtung nicht standhielte. Plötzlich flackerte etwas wie Sorge zwischen ihnen auf, und sie hörten auf, sich anzusehen. Achamians Hochstimmung verwandelte sich unvermittelt in Leere. Um sich zu beruhigen, ergriff er ihre Hand, doch sie erwiderte den Druck seiner Finger nicht.
    Kurz darauf zog Esmenet ihn im Schein mehrerer Kohlenbecken an sich und musterte sein Gesicht mit fast ausdrucksloser Miene.
    »Etwas ist anders«, sagte sie. »Früher konntest du dich immer verstellen, selbst als Inrau starb… Aber jetzt ist das irgendwie anders. Was ist geschehen?«
    Er scheute sich, ihr zu antworten. Es war noch zu früh.
    »Ich bin Ordensmann der Mandati«, begann er wenig überzeugend. »Was soll ich sagen? Wir alle leiden…«
    Sie sah ihn scharf an. Ihr Blick war so düster wie gewitzt. »… unter dem, was ihr wisst… Wenn du mehr leidest, dann, weil du mehr erfahren hast… Und? Hast du mehr erfahren?«
    Achami an sah stur geradeaus und schwieg. Es war zu früh!
    Ihr Blick überflog die schattenhafte Menschenmenge in seinem Rücken. »Möchtest du hören, was mir passiert ist?«
    »Lass gut sein, Esmi.«
    Sie zuckte zurück, wandte sich ab und blinzelte. Dann entzog sie ihm ihre Hand und ging weiter.
    »Esmi…«, sagte er und folgte ihr.
    »Weißt du«, meinte sie, »es war gar nicht schlecht – von den Schlägen mal abgesehen, die ich bisweilen einstecken musste. Viele Freier. Viel…«
    »Das reicht jetzt, Esmi.«
    Sie lachte und tat, als führte sie ein anderes, offeneres Gespräch. »Ich hab sogar mit richtigen Adligen geschlafen,

Weitere Kostenlose Bücher