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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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vor, möglichst schnell eine berittene Streitmacht nach Hinnereth zu schicken, und zwar nicht, um die Stadt einzunehmen, sondern um zu verhindern, dass die Felder ringsum vorzeitig abgeerntet und die Früchte in der Stadt versteckt wurden. Selbiges solle man an der gesamten Küste tun, forderte er. Unter der Folter hatten mehrere gefangene Kianene gesagt, Skauras habe als Plan B angeordnet, alles Wintergetreide in Gedea zu ernten, sobald es irgend essbar sei. Mit dem Schwur, die kaiserliche Flotte könne den gesamten Heiligen Krieg versorgen, argumentierte Conphas gegen diesen Plan und warnte, Skauras besitze noch Stärke und Schläue genug, um eine solche Streitmacht zu vernichten. Da sie sehr ungern vom Kaiser abhängig waren, schenkten die anderen Hohen Herren ihm aber keinen Glauben. Also wurde beschlossen, mehrere tausend Reiter antreten zu lassen und sie tags darauf unter Führung von Graf Athjeäri, Pfalzgraf Ingiaban und Graf Werijen Großherz auszusenden.
    Dann wurde das heikle Thema der Langsamkeit des Ainoni-Heers und der zunehmenden Zersplitterung des Heiligen Krieges aufgebracht. Dabei fand Chepheramunni, der den Scharlachspitzen Rede und Antwort stehen musste, überraschend einen Verbündeten in Proyas, der sich (trotz verschiedener Vorbehalte) dafür aussprach, weiter in separaten Einheiten zu marschieren. Als das Thema aus dem Ruder zu laufen drohte, bat Proyas Cnaiür um Unterstützung, doch die schroffe Einschätzung des Scylvendi zeigte kaum Wirkung, und das Streitgespräch zog sich weiter in die Länge.
    Erste Männer des Stoßzahns begannen ausdauernd zu johlen und wurden vom süßen Wein des Sapatishah immer betrunkener. Kellhus beobachtete sie und erkannte Abgründe, die sie, hätten sie davon Kenntnis gehabt, tief erschrocken hatten. Hin und wieder musterte er das Wesen namens Sarcellus, das oft zurückstarrte, als wäre Kellhus ein Jüngling mit hübschen Schenkeln, den ein niederträchtiger Tempelritter vernaschen könnte. Das Wesen verspottete ihn. Doch Kellhus wusste, dass dieser Schein trog – genau wie die Züge, die sein eigenes Antlitz belebten.
    Dennoch gab es keinen Zweifel, jetzt nicht mehr: Sie wussten, dass Kellhus sie erkennen konnte.
    Ich muss schneller vorgehen, Vater.
    Die Leute aus Nilnamesh hatten Unrecht: Geheimnisse konnten erledigt werden – vorausgesetzt, man hatte die Macht dazu.
     
     
    Ikurei Conphas lag unter der ausgebeulten Zeltbahn seines karmesinroten Pavillons und verbrachte eine geschlagene Stunde damit, unverhohlen verschiedene Mordszenarien an dem Scylvendi durchzuspielen. Martemus sagte kaum etwas, und Conphas argwöhnte in einem wütenden Hinterstübchen seines Gehirns, der dröge General bewundere den Barbaren nicht nur heimlich, sondern habe auch das Fiasko seines Oberbefehlshabers im Amphitheater in vollen Zügen genossen. Doch das störte Conphas wenig – vielleicht, weil er von Martemus’ Loyalität so überzeugt war, dass ihn seine geistige Untreue gar nicht kümmerte. Schließlich war kaum etwas verbreiteter als Untreue im Geiste.
    Er verbrachte eine weitere Stunde damit, Martemus zu erzählen, was bei Hinnereth geschehen würde. Das besserte seine Stimmung sehr. Seine Großartigkeit zu demonstrieren, beflügelte seine Lebensgeister immer, und seine Pläne für Hinnereth waren einfach genial. Wie sehr es sich doch auszahlte, mit seinen Feinden befreundet zu sein!
    Und da er großmütig gestimmt war, beschloss er, eine kleine Tür zu öffnen, um Martemus – seinem kompetentesten und vertrauenswürdigsten General – Zutritt zu einigen recht großen Sälen seines Denkens zu gewähren. In den nächsten Monaten brauchte er Vertraute. Alle Potentaten brauchten Vertraute.
    Aber natürlich verlangte die Vorsicht gewisse Garantien. Martemus war zwar von Natur aus loyal, doch mit Loyalitäten war es – wie die Ainoni gern sagten – wie mit Frauen: Man musste immer wissen, wo sie lagen, und zwar absolut sicher.
    Er lehnte sich im Klappstuhl zurück und sah an Martemus vorbei auf die Zeltwand gegenüber, wo eine karmesinrote Standarte in ihrem beleuchteten Schrein stand. Sein Blick verweilte auf der alten kyraneischen Scheibe, die angeblich das Bruststück der Rüstung eines großen Königs gewesen war. Stets hatten ihn ihre eingravierten Gestalten – goldene Krieger mit überlangen Gliedern – fasziniert. Sie schienen ihm vertraut und doch ganz fremd.
    »Hast du dir das Ding schon mal genau angesehen, Martemus?«
    Einen Moment lang schien es, als

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