Der Prinzessinnenmörder
Mädchen vorstellte.
»Es kommt auf jede Stunde an.«
»Das müssten sie mir erklären.« Der Arzt kniff ruckartig die Augen zusammen.
»Wenn Herr Kohlweit der von uns gesuchte Mörder ist und er gesteht, dann ist alles in Ordnung, und wir lassen die Dinge ihren normalen Gang gehen. Ist er es aber nicht, dann befindet sich der Mörder weiter auf freiem Fuß. Wahrscheinlich hat er sein nächstes Opfer schon ins Auge gefasst. Wir brauchen Gewissheit, sonst ermitteln wir in die falsche Richtung. Und das kann weitere Menschenleben kosten.«
»Zehn Minuten«, sagte der Stationsarzt und kniff die Augen zusammen. »Nur einer.«
Mike hatte nichts dagegen, weiter mit der Pflegerin zu plaudern. Er berichtete freilich derart detailliert über den Gang der Ermittlungen, dass sich Wallner Sorgen um die Wahrung des Dienstgeheimnisses machte. Er nahm Mike zur Seite und bat ihn, sich auf das zu beschränken, was in den Zeitungen stand. Das würde das Mädchen ausreichend beeindrucken.
Kohlweits Handgelenke waren weiß bandagiert. Das Kopfteil des Bettes war leicht hochgestellt. Kohlweit sah Wallner nicht an, als er ins Zimmer kam. Sein Blick war starr auf das Fußende des Bettes gerichtet. Kohlweit konnte noch klar denken. Aber alles an ihm war verlangsamt. Hinter seinen Augen schien eine trübe, zähe Flüssigkeit hin und her zu schwappen, durch die hindurch er die Welt wahrnahm.
»Herr Kohlweit – wie geht es Ihnen?«
»Geht so«, sagte Kohlweit, ohne die Lippen zu bewegen.
»Erzählen Sie mir, was passiert ist?«
Kohlweit schwieg.
»Warum haben Sie die Mädchen umgebracht? War das eine … Kulthandlung?«
»Ich habe niemanden umgebracht.«
»Warum wollten Sie sich selbst umbringen?«
Kohlweit schwieg und schwieg, blinzelte unendlich langsam, öffnete den Mund, um ihn dann wieder zu schließen.
»Es kann nicht wegen dem bisschen Teufelsliteratur sein. Das ist nicht strafbar. Und außerhalb der Polizei hätte niemand davon erfahren.«
Kohlweit nickte unmerklich.
»Also warum? Warum sind Sie derart verzweifelt? Sagen Sie’s mir.«
»Was glauben Sie, passiert am Tegernsee mit einem Lehrer, der etwas mit einer minderjährigen Schülerin anfängt?« Er versuchte, sarkastisch zu lachen, kam aber nicht weit. Selbstmitleid schnürte ihm die Kehle zu. »Vertrauenslehrer!«
»Sie reden von Pia Eltwanger.«
»Ja.«
»Haben Sie sie getötet?«
Kohlweit dachte lange über die Antwort nach. »In gewisser Weise ja«, sagte Kohlweit schließlich mit großer Anstrengung. »Ich habe das Mädchen auf dem Gewissen.«
»Was haben Sie getan?«
»Ich habe geschwiegen.«
Wallner sah Kohlweit fragend an. Aber sein Blick wurde nicht erwidert. Kohlweit starrte weiter auf das Fußende des Bettes.
»Ich war zu feige«, sagte er mehr zu sich selbst.
»Was meinen Sie damit?«
Aber Kohlweit hatte sich wieder hinter seine verschleierten Augen verkrochen.
»Sie hatten ein Verhältnis mit Pia Eltwanger?«
Kohlweit bewegte den Kopf in einer Weise, die man vage als Zustimmung deuten konnte.
»Wann hat das angefangen?«
»Vor einem Jahr. Wir haben uns heimlich getroffen. Wir haben nicht telefoniert, keine E-Mails geschrieben. Nur Briefe, mit der Hand. Und wenn wir sie gelesen hatten, haben wir sie verbrannt. Pia fand das romantisch. Aber ich habe in ständiger Angst gelebt. Verstehen Sie das? Meine Existenz stand jeden Tag auf dem Spiel.«
»Und? War es das wert?«
»Jede Sekunde.«
Wallner betrachtete den Mann mit den bandagierten Unterarmen, seine glasigen, dunkel umrandeten Augen, die von Sedativen verschleiert waren. Wie viele Frauen mochte Kohlweit gehabt haben in seinem Leben? Vielleicht war die Liebe zu einem sechzehnjährigen Mädchen das einzig tiefe Liebesgefühl, das er je erfahren hatte. Eine verbotene Liebe. Aber das war Kohlweit egal gewesen. Wenn er nichts als dieses kurze, quälende, jederzeit gefährdete Glück haben konnte, dann nahm er auch damit vorlieb. Kohlweit war intelligent. Ihm war zweifelsohne klar, dass er eines Tages bezahlen musste. Wenn Pia merkte, dass sie auch andere Männer haben konnte, attraktivere, jüngere. Wenn ihr klarwurde, dass Kohlweit eine tragische Figur war. Wenn sich Pias Liebe in Mitleid verwandelte. Es würde ihn hundertmal einsamer zurücklassen, als er es vorher gewesen war. Kohlweit war bereit, all das auf sich zu nehmen, für ein oder zwei Jahre mit einem jungen Mädchen, das sich einen Mann im Alter ihres Vaters zum Märchenprinzen machte, weil ihr Vater nie für sie da
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