Der Prinzessinnenmörder
war. Wollte Kohlweit dieses Ende nicht abwarten? Hatte er sein Glück lieber getötet, als von ihm verlassen zu werden? Die Verzweiflungstat eines Mannes, der die Grenze zum Wahnsinn irgendwann überschritten hatte? Wallner störte etwas an dieser Hypothese. Das Kruzifix, das goldene Kleid, die Rosenkreuzer, die satanische Literatur – das alles würde sich irgendwie ins Gesamtbild einfügen lassen. Nur – das betraf das Verhältnis von Kohlweit und Pia Eltwanger. Wie passte das zweite Opfer da hinein? Wallner wusste es: überhaupt nicht. Es gab hier nur Stoff für eine romantisch-wahnsinnige Verzweiflungstat. Der Rest ging nicht auf.
»Was ist am letzten Wochenende passiert?«
Kohlweit schloss die Augen und presste die Kiefer aufeinander. Dann versuchte er, sich zu entspannen. Zum ersten Mal sah er Wallner an.
»Was wollen Sie wissen?«
»Alles. Der Reihe nach. Fangen wir Freitagnachmittag an. Soweit wir wissen, hat Pia Eltwanger am Nachmittag einen Bus nach Hausham bestiegen und ist von dort aus weiter zum Spitzingsee gefahren.«
»Ich habe sie an der Bushaltestelle abgeholt. Wir sind dann zu der Hütte gefahren, die ich gemietet hatte. Das waren vielleicht drei Kilometer.«
»Was haben Sie auf der Hütte gemacht?«
»Wir haben gekocht, zu Abend gegessen. Dann haben wir zusammen Gedichte geschrieben.«
»Wie geht das?«
»Einer fängt an, schreibt eine Zeile, dann schreibt der andere eine Zeile. Zum Schluss haben wir über das Gedicht diskutiert, oft auch daran gearbeitet, noch treffendere, noch poetischere Formulierungen gesucht.«
»Haben Sie irgendwelche satanistische Handlungen vollzogen?«
»Nein. Das hat Pia nicht interessiert. Mich fasziniert die gesamte jenseitige Welt. Auch ihre dunkle Seite. Pia mochte nur das helle, romantische Gesicht der Esoterik.« Kohlweit lächelte unmerklich.
»Hat Pia Eltwanger mal telefoniert?«
»Freitag nicht und Samstag auch nicht. Ihre Eltern haben nie angerufen. Und ihre Freundin Conny wusste, dass Pia mit ihrem geheimnisvollen Freund unterwegs war. Sie hätte nur im Notfall angerufen.«
»Am Sonntag gegen fünfzehn Uhr wurde Pia von einer Telefonzelle aus angerufen. War sie da noch mit Ihnen auf der Hütte?«
»Ja. Wir waren gerade auf einem Spaziergang. Es schneite. Sie war sehr aufgeregt, als sie die Nummer auf dem Display sah.«
»Wer hat sie angerufen?«
»Ich weiß es nicht. Sie hat ein kleines Geheimnis daraus gemacht und gesagt, sie werde mich damit überraschen, wenn es so weit sei. Offenbar hatte sie den Anruf erwartet.«
»Was geschah nach dem Anruf?«
»Sie bat mich, sie nach Bayrischzell zu fahren. Sie wollte sich dort mit dem Mann treffen, der sie angerufen hatte. So gegen halb vier hab ich sie hingefahren.«
»Haben Sie den Mann gesehen?«
»Nein. Er war noch nicht da. Pia wollte nicht, dass ich warte. Sie sagte, sie würde mich anrufen, wenn sie fertig sei.«
»Womit?«
»Das wollte sie mir nicht sagen.«
»Was geschah dann?«
Kohlweit dachte lange nach und schwieg. Schließlich zuckte er mit den Schultern.
»Hat sie angerufen?«
Kohlweit schüttelte den Kopf. Tränen liefen ihm übers Gesicht.
»Was haben Sie unternommen?«
»Ich bin am Abend nach Bayrischzell gefahren. Aber ich konnte sie nicht finden.«
»Und dann?«
»Nichts.« Kohlweit war kaum noch zu verstehen. »Was hätte ich denn machen sollen?«
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20 . Kapitel
S o feig kann doch nur ein Mann sein, oder?«
Tina sah auffordernd in die Gesichter von Lutz, Mike und Wallner. Der Ausdruck in deren Gesichtern konnte nicht unbedingt als Zustimmung gedeutet werden.
»Mei, is jetzt vielleicht a bissl pauschal«, murmelte Lutz.
»Nenn mir eine Frau, die wo in so einer Situation nicht zur Polizei gehen tät. Eine!«
Die Männer verfielen in nachdenkliches Schweigen. Schließlich wollte man auf so eine Frage nicht leichtfertig eine womöglich gemeinsame Bekannte als feige stigmatisieren.
»Jemand noch Kaffee?«, fragte Mike und schwenkte die Glaskanne mit der eingebrannten braunen Flüssigkeit. Mike goss sich den Rest in die eigene Tasse. Und dabei hatte er eine Eingebung.
»Meine Mutter«, sagte er.
»Echt?« Tina war geschockt. »Wie kann man so was über seine Mutter sagen?«
»Weil die sich ihr Leben lang von meinem Vater hat verarschen lassen. Ich hab’s ihr so oft g’sagt: Schmeiß’n raus, den alten Sack. Sie tut’s nicht. Und warum? Weil sie Angst hat vorm Alleinsein. Die is einfach feige.«
»Des is was ganz anderes.«
»Des is nix anderes. Feig
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