Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
Wo sein Vater ist, ist unklar. Laut Sune hat sein Vater auf einem Frachter angeheuert und an seine Mutter geschrieben, dass er vielleicht zu Weihnachten nach Hause kommt. Als ob uns das etwas anginge. Das klingt alles sehr merkwürdig, aber wenn man nachfragt, riskiert man, dass er einem eine reinhaut oder einen im schlimmsten Fall richtig verprügelt, was eine geschwollene Lippe, ein blaues Auge, eine lädierte Nase und eine Menge Blut zur Folge hat. Sune ist mit Abstand der Größte und Stärkste unserer Bande und schlägt rasch mal zu, obwohl er erst acht Jahre alt ist.
Als ich meinen Vater frage, ob er weiß, was mit Sunes Papa ist, schüttelt dieser nur den Kopf und will darüber nicht sprechen.
»Dieser Leichtfuß«, sagt Papa. »Vermutlich sitzt er in Långholmen und ruht sich aus, während sich niemand um seinen Jungen kümmert.«
Heute würde man Sune als den Radaumacher des Viertels bezeichnen, aber sosehr ich mir auch den Kopf zerbreche, fällt mir kein böses Wort über ihn ein. Sobald es Ärger gab, konnte man sich immer auf Sune verlassen. Manchmal, viele Jahre später, ertappe ich mich dabei, dass ich darüber nachdenke, was wohl aus ihm geworden ist. Ich bilde mir ein, dass es ihm nicht sonderlich gut ergangen ist und dass es vielleicht nicht nur seine Schuld war, dass es so kommen musste.
»Und? Was ist heute passiert?«, fragt Papa, als wir ein paar Stunden später am Esstisch sitzen.
»Leif hat einen Neger gesehen, als er draußen Fußball gespielt hat«, antwortet Mama. »Offenbar war er auf dem Weg in die Stadt. Was so jemand da verloren hat. Aber natürlich war die Polizei dabei und hat auf ihn aufgepasst. Zum Glück«, meint Mama und presst dann die Lippen zusammen.
Papa begnügt sich mit einem Nicken. Er wirkt fast so müde wie der Wachtmeister, der uns angeschrien hat. Aber Papa schreit nicht. Das tut er nie.
»Ja, ja«, sagt Papa. »Jedenfalls kann er sich über das Wetter nicht beklagen.«
Mehr wird nicht gesagt, da sich das Ganze zu einer Zeit abspielt, als in Arbeiterhaushalten beim Essen nicht gesprochen wird. Man nennt Schwarze Neger, Kinder widersprechen nicht, alle schweigen beim Essen. Sechzig Jahre später kommen mir diese sprachlichen Zeitbilder wieder in den Kopf. Sunes Papa sitzt auf Långholmen im Gefängnis und erholt sich, während der Junge machen kann, was er will. Das wissen alle im Viertel Näw Jorkk.
Die Dunkelheit macht uns auch heute noch Angst, und das aus guten Gründen, weil sie einem die Möglichkeit, etwas zu sehen, nimmt. Die Sehkraft ist der unserer fünf Sinne, der uns am besten vor physischen Gefahren schützt. Sicher ist das auch der Grund dafür, warum das Böse in unserem Leben immer noch nachtschwarz ist, sogar schwärzer als die Sünde, dass wir von Schwarzelfen gequält werden, Dinge schwarzsehen und auch unsere Verstimmtheit in dunkelsten Grautönen zeichnen. Aber für irgendwelche schwarzen Männer im heutigen Sinne hatten wir, als ich ein Kind war, nie Verwendung.
10.
Der Dieb von Damaskus, ich gehe zum ersten Mal in meinem Leben in den Zirkus, und Korv-Larsson hat eine Idee
Von dem Tag an, an dem ich sechs Jahre alt und groß genug bin, folgen meine Sonntage einer bestimmten Routine. Allerdings nicht die Sonntage im Sommer, denn da bin ich bei meiner Großmutter, der Mutter meiner Mutter, auf dem Land, aber sonst fast immer. Herbst, Winter und Frühjahr gehen meine Freunde und ich am Sonntagnachmittag ins Kino, egal, wie das Wetter ist, und unter der Voraussetzung, dass mein Vater nichts Besseres vorschlägt.
Auf dem Heimweg machen wir bei Korv-Larsson Pause und essen eine Bockwurst mit Brot. Das Vergnügen kostet eine Krone. Fünfzig Öre kostet die Matineevorstellung im Kino. Die Wurst kostet dasselbe. Das Geld bekomme ich am Sonntagmorgen nach dem Frühstück von Mama. Es ist mein Taschengeld. Bei uns zu Hause kümmert sich Mama um die Finanzen.
In der Nähe des Hauses, in dem ich wohne, gibt es einige Kinos. Gärdesbiografen liegt am Tessinpark, und ist es eilig, kann selbst ein Sechsjähriger in zehn Minuten dorthin rennen. Am Valhallavägen liegt das Paraden, und im Stadtteil Östermalm gibt es mehr Kinos, als man zählen kann. Am nächsten liegen das Esplanaden und das Fågel Fenix. Aus der Sonntagszeitung erfährt man rechtzeitig das Matineeprogramm und kann mit seinen Freunden besprechen, welches Kino man besuchen will. Die beliebtesten Filme sind auf Englisch und handeln von Seeräubern, Dieben, Polizisten, Indianern und
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