Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
Fußboden stellte, wenn er sich einen Schnaps zum Essen eingegossen hatte. Ungefähr ein Jahr nachdem ich in Schuhen auf meinem eigenen Bett eingeschlafen bin, gießt mir mein Vater zum ersten Mal einen Schnaps ein. Sonntagsessen zu Hause in Sibirien. Ich bin gerade achtzehn Jahre alt geworden.
Mama serviert als Vorspeise eingelegte Heringe. Papa wirkt munterer als seit langem und geht in die Küche und kehrt mit einer Flasche Løitens Linie Akvavit aus dem Kühlschrank und zwei Gläsern zurück. Dann stellt er das eine Glas vor mich hin und gießt bis zum Rand ein, wie er das immer tut. Erst mir, dann sich selbst. Dann schraubt er den Deckel der Flasche zu, stellt sie auf den Fußboden neben seinen Stuhl, nickt und lächelt. Hebt sein Glas.
»Skål, Leif«, sagt er. »Ich hoffe, dass du auf dich aufpasst.«
»Skål, Papa«, erwidere ich.
Mama sagt nichts. Sie schüttelt den Kopf, aber sie sagt nichts, lässt sich bei dem, was gerade geschieht, nichts anmerken. Vielleicht hat sie verstanden, dass es nicht mehr um sie geht.
Papa, der die Branntweinflasche auf den Fußboden stellt, wenn er sich einen Schnaps eingegossen hat. Warum flüchte ich mich in diese Erinnerung? Es ist mir ein Rätsel.
38.
Ich begegne einem neuen Uffe
Im vorletzten Schuljahr begegne ich einem neuen Uffe. Er heißt Rickard, wird aber Ricke genannt. Wir lernen einander auf einem der vielen Feste kennen, die immer und überall stattfinden und die die einfachste Methode für mich darstellen, mich auf die richtige Seite der Odengatan zu flüchten. Besser als mit Ricke hätte ich es kaum treffen können.
Ricke wohnt nicht nur auf der richtigen Seite der Odengatan, er wohnt sogar in dem einzigen richtigen Haus, dem Bünsowska Huset direkt am Strandvägen, das von dem Architekten des Nordischen Museums entworfen worden ist. Ricke wohnt in einer riesigen hocheleganten Wohnung, die er sich mit seinen beiden Brüdern, einer jüngeren Schwester und seinen ständig abwesenden Eltern teilt.
In Ermangelung der Eltern müssen die Kinder mit einem Bedienten, einer Haushälterin und einem älteren Frauenzimmer, das in Putzkittel und mit einem Staubwedel herumläuft, vorliebnehmen. Rickes Eltern gehört der Vergnügungspark auf Djurgården sowie alles andere, was man zum Leben braucht, wie Mietshäuser und eigene Inseln in den Schären. Sein Vater lässt sich von einem Chauffeur in einem Bentley herumfahren, seine Mutter besitzt einen cremefarbenen funkelnden Sportwagen und vergisst immer die Schlüssel im Zündschloss, was praktisch und gut ist, da Ricke und ich gerade den Führerschein gemacht haben.
Sicherheitshalber – wer weiß, es könnten ja schlechte Zeiten kommen – besitzen Rickes Eltern auch viel mehr Geld, als sie dem Finanzamt mitteilen, und warum dem so ist, begreift man auch, wenn man nicht in der Vergnügungsbranche arbeitet. Das wissen alle.
Mein neuer bester Freund ist ein richtiger Denker. Er hat die Konsequenzen aus seinem Hintergrund gezogen, ist von der Schule abgegangen, hat der Tretmühle den Rücken gekehrt und hebt stattdessen Gewichte und denkt über die tiefen, existenziellen Fragen nach. Wir verstehen uns auf Anhieb, und was die Klassenzugehörigkeit betrifft, sondern wir erstaunlicherweise denselben Duft ab.
Wir richten unser Leben danach aus, möglichst viel über dessen Sinn in Erfahrung zu bringen. Ständige Partys, Mädchen, Kneipen. Oft suchen wir die Wahrheit, die sich nur auf dem Boden der Flasche finden lässt, aber nie in Büchern, wie dick und wohlformuliert sie auch sein mögen.
Wie auch immer spielt das keine große Rolle, denn das Leben ist uns hold, und wir haben bereits einen festen Tisch im Teatergrillen in der Nybrogatan. Wir beginnen unsere Sessionen immer mit einem Teller mit Luxuskanapees mit geräuchertem Lachs, Krabben mit Ei und Mayonnaise, Kaviar und Gorgonzola. Damals kostet er zwei Kronen und fünfundzwanzig Öre. Mit zwei Schnäpsen, Bier, einer Flasche Wein zum Hauptgang, Kaffee und Cognac als Avec beläuft sich die Zeche auf einen guten Hunderter. Weiter nichts dabei, das können wir uns leisten.
Gleichzeitig stimmt etwas an diesen Erinnerungen an Ricke und die ersten beiden Jahre unseres Zusammenseins nicht. Zeitlich fallen sie mit der ersten großen Liebe meines Lebens zusammen, aber trotzdem taucht sie nur selten in der Handlung auf. Habe ich sie tatsächlich hinters Licht geführt, oder betrügen mich meine Erinnerungen? Vielleicht lebte ich ein Doppelleben? Das fröhliche, unbedachte
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