Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
umgeht«, brachte er mühsam heraus.
    »Es wäre nicht klug von Ihnen, Ihre Hypothese zu überprüfen«, antwortete Adrian gespreizt. Er war schockiert, wie eiskalt er jedes Wort herausbrachte. Ihn flog der Gedanke an, dass er eigentlich Angst haben, mindestens aber nervös und von seiner Krankheit eingeschränkt sein müsste, doch er schien seltsam konzentriert. Es war durchaus kein unangenehmes Gefühl.
    Die Waffe verschaffte ihm Wolfes volle Aufmerksamkeit. Er schien zwischen dem Impuls zu schwanken, zurückzutreten und aus der Schusslinie zu kommen, und dem, sich nach vorn zu stürzen und ihm die Waffe aus der Hand zu winden. So erstarrte er wie ein Standbild auf der Kamera. Adrian hob die Waffe ein wenig und richtete sie auf Wolfes Gesicht.
    »Sie sind kein Bulle, Sie sind Professor, verflucht. Sie können mich nicht einfach bedrohen.«
    Adrian nickte. Er fühlte sich auf wundersame Weise gefasst. »Glauben Sie, es würde irgendjemandem etwas ausmachen, wenn ich Sie jetzt erschießen würde?«, fragte er. »Ich bin alt. Vielleicht ein wenig verrückt. Was mit mir passieren würde, wäre vollkommen unerheblich. Aber Ihre Mutter … nun ja, sie braucht Sie, nicht wahr? Und Sie, Mr. Wolfe, Sie sind noch jung. Glauben Sie, dieser Moment hier ist ein hinreichender Grund zum Sterben? Sie wissen ja noch nicht einmal, was ich von Ihnen will.«
    Wolfe zögerte. Adrian fragte sich, ob der Kriminelle bis jetzt schon einmal in den Lauf einer Waffe gesehen hatte. Adrian kam sich vor, als sei er in eine seltsame Parallelwelt eingetreten, die mit der dünnen Luft, welche im vertrauten Elfenbeinturm von Akademia herrschte, wenig gemein hatte. Das hier war deutlich handfester. Die Erfahrung hätte abstoßend und erschreckend sein müssen, doch das war sie nicht. Er glaubte, seinen Bruder in der Nähe zu spüren.
    »Sie sind hergekommen und haben den Laptop meiner Mutter gestohlen …«
    Adrian sagte nichts.
    »Was für ein Irrer sind Sie eigentlich? Sie ist krank. Das sehen Sie wohl selber. Sie ist nicht bei …« Er brachte den Satz nicht zu Ende, sondern knurrte nur wie ein verletzter Hund. »Ich will ihn zurück. Sie haben nicht das Recht, den Laptop meiner Mutter wegzunehmen.«
    »Wessen Laptop?«
    Adrian zeigte mit dem Lauf der Waffe auf die Schultertasche. »Vielleicht sollte ich ihn zu Detective Collins mitnehmen. Kein Problem für mich. Ich weiß, dass sie sich in diesen Dingen besser auskennt als ich. Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass sie rauskriegt, wofür Sie ihn benutzt haben. Sie wird sich brennend für die Ordner Rose_Stricken und KillSandy interessieren, nicht wahr? Es liegt also wirklich bei Ihnen. Was soll ich machen?«
    Wolfe stand in der Tür und konnte seine Angriffslust kaum im Zaum halten. Adrian sah, wie sich sein Gesicht verzerrte. Er machte sich klar, dass Männer, die ein geheimes Leben führen und dies unter dem dünnen Firnis des Alltags verstecken, es hassten, ein Fenster zu öffnen, das einen Blick auf ihre wahre Persönlichkeit freigab. All diese perversen Gedanken, die ständig in ihrem Innern sprudelten, mussten vor den Behörden, vor Freunden und vor der Familie verborgen bleiben. Er merkte, dass Mark Wolfe kurz vor dem Siedepunkt war.
    Adrian sah, wie er schluckte, während sein Gesicht immer noch wutverzerrt war. Doch seine Stimme hatte er wieder unter Kontrolle.
    »Na schön. Er gehört mir. Er ist privat.« Wolfe spuckte jedes Wort einzeln aus.
    »Sie können ihn haben«, sagte Adrian. »Aber zuerst will ich etwas von Ihnen.«
    »Das wäre?«, brummte der Sexualstraftäter widerwillig.
    »Einen Schnellkurs«, antwortete Adrian.

28
    D as Baby fing wieder zu schreien an. Viel lauter als zuvor. Jennifer wurde von dem Geräusch, das durch die Wände drang, aus dem Halbschlaf gerissen. Sie wusste nicht, wie lange sie weggedöst war – vielleicht zwölf Minuten, vielleicht auch zwölf Stunden. Durch die ständige Dunkelheit unter der Augenbinde hatte sie jedes Zeitgefühl verloren. Sie war völlig desorientiert. Es erinnerte sie daran, wie ein besonders lebhafter und beunruhigender Albtraum auch im Wachzustand noch lange nachhallt. Von dem Babygeschrei zuckte sie heftig zusammen.
    Dann tat sie etwas, das sie bisher nicht gewagt hatte. Sie packte Mister Braunbär und schwang so wie jeder, der morgens aufwacht, die Beine über die Bettkante. Nach wie vor an die Wand gekettet, tappte sie durch den Raum, als könnte sie, indem sie sich in die eine und dann in die andere Richtung bewegte,

Weitere Kostenlose Bücher