Der Professor
einem weiteren Schlag rechnete, doch der blieb aus. Stattdessen fiel die Tür mit einem dumpfen Geräusch zu.
Sie regte sich nicht, sondern horchte und versuchte, unterschiedliche Geräusche auszumachen, auch wenn ihr rasender Herzschlag und ihr dröhnender Schädel alles andere übertönten. Es kostete sie eine gewaltige Willensanstrengung, von der sich ihr die Magen- und die Wadenmuskeln anspannten, gegen die Verzweiflung anzukämpfen. Vielleicht hatte die Frau nur die Tür zugemacht und stand jetzt trotzdem direkt neben ihrem Bett, um zum nächsten Faustschlag auszuholen.
In der verbrauchten Luft verschlug es Jennifer den Atem. Sie merkte, wie verschiedene Teile von ihr sich Gehör zu verschaffen suchten. Der Teil von ihr, der Schmerzen litt. Der Teil von ihr, der Angst hatte. Der Teil von ihr, der verzweifelt war. Und schließlich der Teil von ihr, der kämpfen wollte. Dieser letzte brachte es fertig, die anderen zu beschwichtigen, und Jennifer merkte, wie ihr Puls sich beruhigte. Ihr Kinn fühlte sich immer noch übel zugerichtet an, doch der Schmerz ließ nach.
Die Kleider, die sie trägt, knistern bei jeder Bewegung, rief sich Jennifer ins Gedächtnis. Wenn sie läuft, macht sie schlurfende Geräusche auf dem Zementboden. Sie holt immer tief Luft, bevor sie etwas sagt, besonders wenn sie flüstert. Jennifer schaltete langsam, aber sicher alle Laute aus, die sie selber machte, und horchte nur auf die der Frau.
Ihr schlug vollkommene Stille entgegen. Egal, was die Frau gesagt hatte, sie war allein. Auch wenn die Kamera auf sie gerichtet war. Das fröhliche Spielplatzgelächter im Hintergrund verschwand. Einen Moment lang herrschte Stille, dann hörte sie erneut das Baby in der Ferne weinen und abrupt verstummen.
Der Geschäftsmann in Tokio trank warmen Scotch, der schon verwässert gewesen war, bevor die Eiswürfel im Glas schmolzen. Die Flasche, aus der er stammte, hatte eine Stange Geld gekostet, auch wenn er bezweifelte, dass er etwas anderes als die billige, lokale Marke enthielt, und er kräuselte angewidert die Lippen. Ein iPhone in der einen Hand, den Drink in der anderen, saß er auf einer offenen Veranda auf einem Korbstuhl, der sich ihm in die nackte Haut grub. Die Sexarbeiterin, eine Thai, kauerte geschäftig zwischen seinen Beinen und verwöhnte ihn mit allzu dick aufgetragenem Enthusiasmus, als gäbe es nichts Erotischeres auf der Welt, als ihn zu befriedigen. Er hasste jedes vorgetäuschte Stöhnen, das sie von sich gab. Er hasste den glänzenden Schweißfilm auf seiner Brust. Er wusste nicht, wie die Kleine hieß, und es war ihm auch egal. Ihre Berührungen hätten ihn gelangweilt, hätte er nicht zugleich auf dem Display faszinierende Bilder verfolgt.
Der Geschäftsmann war in mittlerem Alter und hatte daheim bei seiner unscheinbaren Frau eine Tochter ungefähr im selben Alter wie die kleine Thai, die ihn gerade mit der Zunge beglückte, und Nummer 4, doch an sein eigenes Kind dachte er nicht.
Er starrte auf das kleine iPhone-Display. Serie Nummer 4 stimulierte ihn. Der plötzliche Fausthieb ins Gesicht hatte ihn erregt. Er war unerwartet und dramatisch gewesen und hatte ihn vollkommen überrascht. Er rutschte auf seinem Sessel hin und her und spähte über das Display hinweg auf das rabenschwarze Haar des Mädchens. In seiner Phantasie wurden sie zu einer Person, die Prostituierte und Nummer 4. Bei dem Gedanken, das Mädchen zu schlagen, nur um zu sehen, wie es sich anfühlte, ballte er unwillkürlich selbst die Hand zur Faust.
Bilder, in denen sich Schmerz und Lust vereinten, schwirrten ihm durch den Kopf, er streckte die Hand aus und zwirbelte sich ihre Haare um den Finger. Er wollte daran ziehen, damit sie schrie. Doch er beherrschte sich. Nummer 4, wurde ihm bewusst, hatte kaum einen Laut von sich gegeben, als die Faust sie traf. Bei früheren Gelegenheiten hatte sie geweint, manchmal geschrien und einmal richtig gebrüllt, doch diesmal war sie von dem Schlag einfach nur nach hinten getaumelt, hatte ansonsten aber stoisches Schweigen bewahrt.
Für ihre Disziplin brachte er tiefste Bewunderung auf. Er lehnte sich zurück und schloss die Augen. Einen Moment lang versuchte er sich vorzustellen, das Thai-Mädchen sei verschwunden und an ihrer Stelle machte sich Nummer 4 zwischen seinen Beinen zu schaffen.
Er atmete aus. Eine Woge der Erregung erfasste seinen ganzen Körper, und mit neu entfachter Glut gab er sich seinen Verschmelzungsphantasien hin.
»Nummer 4 hat ein
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