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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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einem Tatort – und irgendwann ein klar umrissenes Bild entsteht. Es gibt immer eine erste solche Verbindungslinie, aus der sich das weitere Vorgehen des Polizisten ergibt.
    Jennifers Verschwinden entzog sich diesem Muster.
    Terri wusste nur eins: dass sie nicht wusste, was sie machen sollte. Ebenso klar war allerdings auch, dass sie über das Bisherige hinausgehen musste. Sie sah sich auf ihrem Schreibtisch um, als müsse das, was zu tun war, dort irgendwo zu erkennen sein. Dann hob sie den Blick und sah sich in ihrer Bürokabine um, die sie zwischen dem kalten Grau von Polizei- und FBI -Meldungen mit Fotos von ihrer Familie sowie ein paar bunten Aquarellen und Kreidezeichnungen ihrer Kinder geschmückt hatte.
    Sie hatte nach bestem Wissen alle angemessenen Schritte unternommen. Sie hatte alle Vorschriften und Richtlinien des Dezernats befolgt, hatte alles getan, was irgendein anderer Beamter an ihrer Stelle hätte tun können, doch nichts von alledem hatte sie der vermissten Jennifer auch nur einen Schritt näher gebracht.
    Terri beugte sich wie unter plötzlichen Magenkrämpfen nach vorn. Jennifer war weg. Terri führte sich das Mädchen vor Augen, wie sie ihr bei einem ihrer früheren Fluchtversuche gegenübergesessen hatte – trotzig, wütend und wenig mitteilsam hatte sie auf die Ankunft ihrer Mutter nebst Freund gewartet, die sie genau an den Ort zurückbringen würden, dem sie mit aller Macht entfliehen wollte. Und Terri hatte ihr auch noch über den Fehler, den sie begangen hatte, eine Standpauke gehalten. Jetzt wurde ihr klar, dass sie damals die Chance verpasst hatte, das Mädchen zu retten. Sie hätte nichts weiter zu tun brauchen, als sich über den Tisch zu lehnen und zu sagen, rede mit mir, Jennifer, um einen Kommunikationsweg herzustellen.
    Und was tat sie jetzt? Legte Berichte und Akten an, nahm nutzlose Aussagen eines verwirrten, pensionierten Professors auf, befragte einen Sexualstraftäter, der allem Anschein nach zu der Ausreißerin in keiner wirklichen Verbindung stand, verschickte Anfragen an andere Stationen, die einem Schuss ins Blaue oder der Suche nach der Nadel im Heuhaufen gleichkamen. Dabei lief das Ganze, wie Terri sehr wohl bewusst war, eher darauf hinaus, einfach auf den Tag in der Zukunft zu warten, an dem ein Jäger auf der Pirsch nach einem Reh irgendwo im Wald Jennifers Gebeine fand oder ein Angler in einem See statt Schwarzbarsch ihre halb verweste Leiche aus dem Wasser fischte.
    Falls sie so viel Glück hatte. Terri tippte ein paar Tasten, und das Bild des Mannes im Busbahnhof erschien vor ihr auf dem Bildschirm. Sie vergrößerte es so lange, bis es den ganzen Monitor ausfüllte.
    Na schön,
dachte sie,
ich denke, ich krieg raus, wer du bist
. Das war leichter gesagt als getan. Doch sie griff nach dem Telefon, um das Labor der Staatspolizei anzurufen. Sollten die doch das Video durch eine Bilderkennungs-Software jagen. Vielleicht hatte sie ja Glück, auch wenn sie es bezweifelte. Ihr war bewusst, dass ihre Vorgesetzten diesen Schritt möglicherweise nicht befürworten würden; das konnte ihr nicht gleichgültig sein, ließ sie aber ziemlich kalt.
     
    Mark Wolfe überquerte mit zügigen Schritten den geteerten Parkplatz bis zu der Stelle, an der Adrian neben seinem Auto wartete. Adrian wusste seinen Bruder neben sich, konnte fast seinen beschleunigten Atem hören und wunderte sich darüber, wieso Brian nervös war. Schließlich kannte er ihn als beherrscht, nie in Eile, nie besorgt. Bis er erkannte, dass er seinen eigenen keuchenden Atem hörte.
    Auf seinem Weg zu Adrian sah sich Wolfe mehrmals misstrauisch um. Adrian beschlich der Gedanke, dass Mark Wolfe sich in seinem eigenen Zuhause überaus sicher fühlte, draußen dagegen wie eine Hyäne alle paar Sekunden die Witterung nach Räubern aufnehmen musste. Irgendwie verkehrte Welt, dachte Adrian. Wolfe war das Raubtier.
    Wolfe hatte ein schiefes Grinsen auf den Lippen. »Ich kann mir keine längere Pause leisten«, sagte er. »Möchte mir keinen größeren Geräteverkauf durch die Lappen gehen lassen. Hey, Professor, brauchen Sie vielleicht einen Flachbildfernseher und eine Surroundanlage? Die gibt’s gerade im Angebot, und ich kann Ihnen einen richtig guten Schnäppchenpreis machen.« Nichts davon war aufrichtig gemeint.
    »Es dauert nicht lang«, antwortete Adrian, zog den Vermissten-Handzettel heraus, den Detective Collins ihm gegeben hatte, und reichte ihn Wolfe. »Das ist das Mädchen, das ich suche«, sagte

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