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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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verschwinden lassen?
Ein Versehen?
Dann kam ihr der Gedanke:
Bewusste Irreführung.
Jemand hatte das Risiko der Kartenbenutzung gegen die Möglichkeit abgewogen, sie anonym als gestohlen zu melden. Er hätte lediglich nach dem Fahrkartenkauf unter falschem Namen aus einer Telefonzelle bei Visa anrufen müssen, und Visa hätte ihm geraten, die Karte zu vernichten, dann die Nummer gestrichen. Doch diese Person, wer immer das sein mochte, war auf
Verzögerung
aus.
    Dreimal fragte sie die Studentin, ob sie oder ihre Freunde sich erinnerten, im Busbahnhof ein junges Mädchen gesehen zu haben, auf das Jennifers Beschreibung passte. Jedes Mal lautete die Antwort nein.
    Ob sie jemand anders gesehen hätten? Jemand, der irgendwie auffiel? Verdächtig schien?
Nein,
nein
und
nein
.
    Es arbeitete in Terris Kopf, und hinter der kühlen Entschlossenheit der Polizistin trieb sie die Sorge um. Ihr dämmerte, dass sie es vielleicht an diesem Tag mit einem seltsamen Zusammenspiel zu tun hatte. Nachdem sie eben den dümmsten Kriminellen begegnet war, die ihr je untergekommen waren, fragte sie sich, ob sie gerade einem der gerissensten Kriminellen auf der Spur war.
    Das Überwachungsvideo war ziemlich unscharf. Der Aufnahmewinkel von oben gab keine genauen Bilder her. Das Einzige, was sie sehen konnte, war ein Mann, der den Fahrkartenautomaten zu demselben Zeitpunkt benutzte, zu dem die Kreditkartenzahlung erfolgt war. Auf dem Filmmaterial war er nur schlecht zu erkennen, auch wenn moderner ausgestattete Polizeistationen über technische Aufarbeitungstechnik verfügten, mit deren Hilfe sie mehr Aufschluss bekäme.
    Auf einer späteren Sequenz sah sie, wie derselbe Mann abseits saß und auf den Bus wartete. Vornübergebeugt. Die Kappe so ins Gesicht gezogen, dass es nicht zu sehen war. Kurz gesagt, ein Mann, der wusste, dass er gefilmt wurde, und der dafür sorgte, dass er weder zu erkennen war noch sonst irgendwie auffiel.
    Sie sah ein Trio junger Leute, vermutlich die Studenten aus Maine, die sich vor der Fahrkartenausgabe in die Schlange stellten. Sie sah einen anderen Mann – er hatte offenbar einen Bart, der vorherige war glatt rasiert –, der sich hinter ihnen anstellte. Dieser Mann kam nicht bis zum Schalter, sondern scherte vorher aus, allerdings nicht, um einen Schalter mit weniger Andrang oder einen Automaten zu finden. Soweit sie sehen konnte, verließ er den Bahnhof durch den Vordereingang und nicht durch den hinteren Zugang zu den Bussen. Der Mann hatte außer einer kleinen Schultertasche kein Gepäck dabei.
    Terri spielte das ganze Video noch einmal ab. Was sie darauf nicht zu sehen bekam, war Jennifer.
    Sie ging es noch einmal genauer durch und versuchte, sich Mann Nummer 1 und dann den bärtigen Mann Nummer 2 einzuprägen. Sie konzentrierte sich auf die jeweiligen Körpermaße, die Gangart, die hängenden Schultern und die Taktik, sich unter der jeweiligen Mütze zu verstecken. Sie versuchte, sich den Mann zu vergegenwärtigen, den Adrian ihr beschrieben hatte. Sie hatte nicht genug in der Hand, um zu vermuten, dass es sich bei dem Mann auf den körnigen Schwarzweißaufnahmen des Überwachungsfilms und dem Mann auf der Straße um ein und dieselbe Person handelte.
    Andererseits war dies die einzig logische Folgerung.
    Terri schob den Bericht über das Einbrecherpaar zur Seite, um sämtliche Kenntnisse zusammenzufassen, die sie hinsichtlich Jennifers Verschwinden hatte. Es war ein Sammelsurium aus Bruchstücken und Einzelheiten, weniger wie ein Puzzle oder Mosaik als vielmehr die Trümmer eines Flugzeugabsturzes, bei dem die Ermittler das zusammenfügen, was nicht gänzlich zerstört, was zwar verbogen und verkohlt, aber doch noch so weit zu erkennen ist, dass es ihnen etwas Konkretes über das Geschehene sagt.
    Eine rebellische junge Ausreißerin.
    Ein alter Mann.
    Ein ausgebrannter Lieferwagen.
    Keine Lösegeldforderungen.
    Kein Handygebrauch.
    Eine Busfahrkarte nirgendwohin.
    Anstelle von Jennifer ein Mann in Verkleidung.
    Terri wirbelte auf ihrem Sitz herum. Die eingefleischte skeptische Distanz der Kriminalistin ließ sie im Stich. Es gibt einen Grad der Verzweiflung, der polizeiliche Ermittler überkommt, wenn sie erkennen, dass sie sich dem schlimmstmöglichen Verbrechen gegenübersehen, einem, bei dem Anonymität und moralische Abgründe zusammenkommen. Verbrechen werden aufgeklärt, wenn man Verbindungen herstellen kann – jemand sieht etwas, jemand weiß etwas, jemand sagt etwas, jemand hinterlässt etwas an

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