Der Professor
ebenfalls in leuchtendem Rot. Sie stand auf 00:00. Daneben: Tag eins. Alle Partyteilnehmer sahen, wie die Uhr plötzlich lief, erst eine Sekunde, dann zwei, und von jetzt an die Zeit festhielt. Sie erinnerte an die digitale Wanduhr, auf der die abgelaufene Zeit eines Tennisspiels in Wimbledon oder bei den US Open gestoppt wurde.
Daneben stand: Serie Nummer 4, mögliche Dauer 1 bis 4 Wochen.
Auf der Party brüllte jemand auf Russisch: »Komm schon, Dimitri! Kauf das ganze Paket … von Anfang bis Ende! Du kannst es dir doch leisten!« Es folgten nervöses Lachen und vereinzelter Applaus, während der Mann mit dem Schnauzbart zuerst die Achseln zuckte, als wisse er nicht, was er machen sollte, sich zu der versammelten Runde umdrehte und dann grinsend eine kleine, theatralische Verbeugung machte, um im nächsten Moment ein paar Kreditkartenziffern einzutippen. Sogleich erschien auf dem Bildschirm die Aufforderung, das Passwort einzugeben. Der Mann nickte der Paillettenfrau zu und deutete mit dem Kopf auf die Computertastatur. Sie lächelte und tippte ein paar Buchstaben ein – man hätte meinen können, dass es der Schlafzimmer-Kosename ihres Liebhabers war. Der Gastgeber lächelte und machte einem Kellner in Livree, der an der Rückseite des Penthouses bereitstand, Zeichen, die Gläser aufzufüllen, während seine betuchten Gäste auf die letzte elektronische Kaufbestätigung warteten.
Wie viele andere rund um den Globus.
Bei Whatcomesnext.com gab es kein typisches Benutzerprofil, auch wenn die männliche Klientel wohl deutlich überwog. Die öffentliche Party in Moskau allerdings war eine Ausnahme; die meisten Kunden meldeten sich an privaten Orten an, wo sie das Drama der Serie Nummer 4 im Verborgenen verfolgen konnten. Die Website hatte ein Verfahren mit einer Zugangserkennung über geheime Passwörter entwickelt, die sie doppelt und dreifach absicherten; dafür lieferte der Betreiber Hochgeschwindigkeitsverbindungen zu mehreren Web-Engines in Osteuropa und Indien. Das System war elektronisch bis ins Kleinste ausgeklügelt und hatte schon mehr als einen Versuch der Polizei überstanden, es zu infiltrieren. Doch da es keine politische Meinung zu vertreten schien und nicht offensichtlich Kinderpornographie vertrieb, hatte es diese gelegentlichen, bescheidenen Eingriffe überlebt. In Wahrheit verlieh dieses sporadische polizeiliche Interesse der Website eine Art Gütesiegel, die digitale Entsprechung zum Respekt der Straße.
Whatcomesnext.com wandte sich an eine andere Klientel. Die Liste setzte sich aus Leuten zusammen, die für eine Mischung aus sexueller Suggestion und Reality-Drama am Rande der Legalität stattliche Summen bezahlten. Sie bediente sich des Chats und der virtuellen Mund-zu-Mund-Propaganda, um die Einladung zur Subskription ihrer Dienstleistungen zu verbreiten.
Die Designer betrachteten sich nicht als Kriminelle, obwohl sie viele Verbrechen begangen hatten. Sie sahen sich auch nicht als Mörder, obwohl sie gemordet hatten. Sie hätten in dem, was sie taten, nie eine Perversion vermutet, auch wenn viele sagen würden, dass es genau das war. In ihren eigenen Augen waren sie moderne Unternehmer, die eine spezifische Dienstleistung erbrachten – ein rares Angebot, das an dunklen Orten rund um den Globus, in verborgenen Männerphantasien eine wachsende Nachfrage bediente.
Michael und Linda hatten sich vor fünf Jahren auf einer Underground-Sexparty in einem Haus in einer Chicagoer Vorstadt kennengelernt. Er war ein etwas schüchterner, leise sprechender Doktorand der Computerwissenschaft, sie eine junge leitende Angestellte einer boomenden Werbeagentur, die mit einem Nebenjob im Begleitservice die knappe Kasse auffüllte. Sie hatte Vorlieben, die gewisse Grenzen überschritten, er Phantasien, denen er noch nie nachgegangen war. Sie begeisterte sich für BMW s, Stimulanzien wie Dexedrin und sexuelle Erniedrigung; er war als Teenager verhaftet worden, weil er den kleinen Kläffer eines Nachbarn gestohlen hatte. Das Tier hatte ihn eines Morgens auf dem Weg zur Schule in den Knöchel gebissen. Die Polizei hatte Michael in Verdacht, den Bichon Frisé an einen Mann im ländlichen Illinois verhökert zu haben, der Unternehmer von Pitbull-Kämpfen mit Beute versorgte. 25 Dollar auf die Hand. Die Anklage gegen ihn war fallengelassen worden, als ein Informant, von dem die Behörden seinen Namen hatten, selber in schlimmere Vergehen als Hundeentführung verwickelt war. Mehr als ein Polizist hatte
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