Der Professor
Lieferwagentür. Er wirbelte herum, rannte los und hoffte, dass er auf der gestampften Erde und dem Kies nicht in eine Glasscherbe trat und sich die Fußsohle aufschlitzte. Hinter ihm gab es, als die Behelfsbombe zündete, ein puffendes Geräusch.
Er lief langsamer und warf einen letzten Blick über die Schulter, um sich davon zu überzeugen, dass der gestohlene Transporter lichterloh brannte. Aus den Fenstern züngelten gelbrote Flammen, und die ersten wabernden Wolken aus grauem, schwarzem Rauch quollen zum Himmel. Zufrieden lief Michael schneller. Er hätte brüllen können vor Lachen und wäre gern dabei gewesen, wenn irgendein sprachloser Passant versuchte, einem skeptischen Polizisten zu schildern, wie ein nackter Mann von einem explodierenden Lieferwagen wegrennt.
Immer noch lag dieser herrliche Brandgeruch in der leichten nächtlichen Brise.
Wer war das noch gleich in dem Film?,
überlegte er.
Major Kilgore: Ich liebe den Geruch von Napalm am Morgen.
Ich muss sagen,
dachte er,
am Abend riecht es genauso verführerisch wie am Morgen, und es bedeutet dasselbe: Sieg.
Seine Kleider warteten auf dem Fahrersitz seines ramponierten alten Trucks. Die Schlüssel befanden sich unter dem Sitz, wo er sie unter das kleine Päckchen Feuchtigkeitstücher gelegt hatte, die Sorte, die alte Leute mit Hämorrhoiden benutzten. Sie rochen nicht so parfümiert, beseitigten jedoch zuverlässig den restlichen Benzingeruch. Er zog die Lasche auf und hatte sich in wenigen Sekunden von oben bis unten mit den getränkten Papiertüchern abgerieben. Danach brauchte er keine Minute, um sich die Jeans, das Sweatshirt und die Baseballkappe anzuziehen. Er sah sich noch einmal um. Niemand weit und breit. Hatte er auch nicht anders erwartet. Hundert Meter entfernt sah er, wie nahe dem Gebäude eine Rauchspirale, etwas heller als die Nacht, aus der Feuersglut in den Himmel stieg.
Er setzte sich hinters Lenkrad und warf den Motor an. Er schnupperte ausgiebig – wie erwartet, war der Benzingeruch dank der Hygienetücher verschwunden. Trotzdem zog er ein geruchstilgendes Spray aus dem Handschuhfach und sprühte damit das ganze Wageninnere ein. Wahrscheinlich war dies eine überflüssige Vorsichtsmaßnahme, doch falls er wegen Geschwindigkeitsübertretung oder wegen Missachtung eines Stoppschilds oder einer Vorfahrtsregelung oder sonst irgendeinem banalen Grund von der Polizei angehalten würde, wollte er nicht wie ein Brandstifter riechen.
Diese umsichtige Planung, das Einbeziehen sämtlicher Eventualitäten, das Vorausschauen und Gewappnetsein, dies alles genoss Michael fast mehr als irgendetwas sonst. Es versetzte ihn in ein Hochgefühl.
Er legte den Gang ein, zog sich die Kappe weit über die Augen und fummelte an einem Kopfhörer herum, der an einem iPod angeschlossen war. Linda stellte ihm immer eine besondere Mischung aus Titeln zusammen, wenn es an die Knochenarbeit ging, die ihr Geschäft mit sich brachte. Das Menü auf dem Display enthielt eine neue Musikfolge: Benzinmusik. Darüber musste er laut lachen. Er lehnte sich zurück, als etwas von Chris Whitley mit einem hammermäßigen Stahlgitarren-Solo aus den Lautsprechern dröhnte. Er genoss die Akkorde und den Songtext dazu: »Like a walking translation on a street of lies …«
Wie wahr, wie wahr,
dachte er und fuhr vom Parkplatz des verlassenen Lagerhauses. Linda wusste
immer,
was er gerne hörte. In einem Plastikbeutel auf dem Sitz neben ihm befand sich die Kreditkarte, die er Nummer 4 abgenommen hatte, zusammen mit ihrem Handy. Der Truck hatte sich aufgewärmt, und durch die Lüftungsschlitze blies die heiße Luft herein. Es war für die Jahreszeit immer noch übel kalt und feucht, dachte er. Er beschloss, den nächsten Web-Broadcast von Florida oder Arizona aus zu senden. Doch damit eilte er den Dingen ein bisschen voraus, und das war, wie er sehr wohl wusste, ein Fehler. Michael war stolz auf seine Fähigkeit, sich ganz auf eine Sache zu konzentrieren. Hatte er etwas angefangen, zog er es durch, und nichts, aber auch gar nichts konnte ihn davon abbringen, ablenken oder darin erschüttern. Er ging davon aus, dass jeder erfolgreiche Künstler oder Geschäftsmann über seine Projekte dasselbe sagen würde.
Man kann keinen Roman schreiben oder Song komponieren oder Auftrag an Land ziehen oder Angebot ausarbeiten, ohne sich der
Sache ganz zu verschreiben.
Linda wusste das genauso. Deshalb liebten sie sich so sehr.
Ich habe unglaubliches Glück,
dachte er.
Michael machte es
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