Der Professor
finden, stand auf einem anderen Blatt.
»Sie ist ein ziemlich problembehafteter Teenager, Detective. Sie ist sensibel und intelligent, aber sehr verstört und verworren. Ich habe sie gedrängt, therapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen, aber bis jetzt … Sie wissen ja, wie eigensinnig Kinder in dem Alter sein können.«
Das wusste Terri. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob Eigensinn in diesem Fall das Problem traf. »Meinen Sie, dass sie ein bestimmtes Ziel haben könnte? Würde sie zu einem Angehörigen fahren? Einer Freundin, die weggezogen ist? Hat sie je davon gesprochen, in Miami Model zu werden oder Schauspielerin in L. A.? Oder in Louisiana auf einem Fischerboot zu arbeiten? Irgendwas, egal, wie nebensächlich oder weit hergeholt es Ihnen erscheinen mag. Es wäre eine erste Spur, der wir nachgehen können.«
Terri hatte diese Fragen bereits bei Jennifers ersten beiden Ausreißversuchen gestellt. Doch da hatte Jennifer keinen solchen Vorsprung wie heute Abend geschafft, sondern war nicht weit gekommen, das erste Mal ein paar Kilometer, das zweite Mal bis in die nächste Stadt. Diesmal war es anders.
»Nein, nein …«, sagte Mary Riggins und rang die Hände, bevor sie nach einer weiteren Zigarette griff. Terri sah, wie Scott versuchte, sie davon abzuhalten, indem er ihr die Hand auf den Unterarm legte, doch sie schüttelte ihn ab, griff nach der Marlboro-Packung und zündete sich eine neue Zigarette an, obwohl eine halb gerauchte noch im Aschenbecher glimmte.
»Nein, Detective. Mary und ich haben uns das Hirn zermartert, aber uns ist nichts eingefallen, was unserer Meinung nach helfen könnte.«
»Fehlt eigentlich kein Geld? Kreditkarten?«
Mary Riggins bückte sich und nahm eine Handtasche vom Boden. Sie riss sie auf, zog eine Lederbrieftasche heraus und leerte drei Tankstellenkreditkarten, eine blaue American-Express- und eine Discover-Karte zusammen mit einem Ausweis der Stadtbibliothek und einer Discount-Karte eines örtlichen Supermarkts auf den Tisch. Sie fummelte daran herum und suchte dann hektisch jedes Fach ihrer Brieftasche ab. Als sie aufsah, kannte Terri die Antwort auf ihre Frage.
Terri nickte und überlegte. »Ich brauche das aktuellste Foto, das Sie haben«, sagte sie.
»Hier«, antwortete Scott und reichte ihr etwas, das er offenbar bereitgehalten hatte. Terri nahm das Bild und betrachtete es. Ein lächelnder Teenager.
Was für eine Lüge,
dachte sie.
»Ich werde auch ihren Computer oder Laptop brauchen«, sagte Terri.
»Wozu sollte das …?«, fing Scott an, doch Mary unterbrach ihn. »Ihr Laptop steht auf ihrem Schreibtisch.«
»Das ist aber ein Eingriff in die Privatsphäre«, sagte Scott. »Ich meine, Mary, wie sollen wir Jennifer erklären, dass wir der Polizei gerade gestattet haben, ihren persönlichen …«
Er sprach nicht weiter. Terri dachte:
Wenigstens merkt er, wie dämlich er klingt.
Aber vielleicht macht ihm das ja im Moment die geringsten Sorgen.
Dann stellte sie unvermittelt eine Frage, die sie vielleicht besser für sich behalten hätte. »Wo ist ihr Vater begraben?«
Für einen Moment herrschte Stille. Selbst das fast ununterbrochene Schluchzen verstummte für eine Weile. Terri sah, wie sich Mary Riggins zusammenriss und aufrichtete, als müsse sie im Rückgrat und zwischen den Schulterblättern erst ein wenig Kraft und Stolz zusammenkratzen. »Oben am Nordufer, nicht weit von Gloucester. Aber was spielt das für eine Rolle?«
»Wahrscheinlich keine«, sagte Terri. Insgeheim dachte sie allerdings:
Da würde ich hingehen, wenn ich ein wütender, depressiver Teenager wäre, der nichts sehnlicher will, als von zu Hause wegzukommen. Würde sie nicht dem einzigen Menschen, von dem sie glaubt, je wirklich geliebt worden zu sein, einen letzten Besuch abstatten, bevor sie das Weite sucht?
Sie schüttelte so sacht, dass es niemand im Raum sehen konnte, den Kopf.
Ein Friedhof,
dachte sie,
oder auch New York, der beste Ort zum Untertauchen
.
5
Zuerst beachtete kaum einer der Partygäste die stummen Bilder auf dem riesigen Flachbildfernseher an der Wand der Penthouse-Wohnung mit Blick über den Gorki-Park. Es war eine Aufzeichnung eines Fußballspiels zwischen Dynamo Kiew und Lokomotive Moskau. Ein Mann mit einem großen Fu-Manchu-Bärtchen hielt die Hand hoch, um die Menge zum Schweigen zu bringen, und jemand drehte die ohrenbetäubende Techno-Musik leiser, die aus einem halben Dutzend in die Wände eingelassener Lautsprecher dröhnte. Er trug einen teuren
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