Der Professor
Chefs von einem Meeting wartet, um ihm eine kleine Überraschung zu bereiten. Ihre Finger jagten über die Tasten des Taschenrechners. Sie ermittelte die Gewinne derjenigen, die für die Vergewaltigung auf die richtige Stunde gewettet hatten, um sie den Konten gutzuschreiben. Ihre Klientel würde eine rasche Rendite für ihren Einsatz erwarten, doch sie empfand auch so etwas wie eine Verpflichtung. Es wäre für sie und Michael ein Kinderspiel gewesen, die Gewinner unter den Subscribern um ihr Geld zu prellen, doch das wäre unfair und schlechter Stil gewesen. Ehrlichkeit war nach ihrer Überzeugung eine unverzichtbare Voraussetzung für ihren Erfolg. Stammkunden waren wichtig, ebenso Mundpropaganda. Das wusste jede gute Geschäftsfrau.
Michael stand unter der Dusche, und sie hörte, wie er ein bunt zusammengewürfeltes Potpourri an Melodien sang. Die Mischung war immer gewagt; eine Country-Melodie ging nahtlos in eine Opernarie über, dann folgte etwas von The Grateful Dead oder Jefferson Airplane – »Don’t you want somebody to love … Don’t you need somebody to love …«. Er schien ein Faible für uralten Rock aus den Sechzigern zu haben.
Sie summte mit, während sie auf einen der Monitore schaute. Da Nummer 4 wieder unter der Haube steckte, fiel es Linda schwerer, ihren Gemütszustand zu beurteilen. Nummer 4 lag weiter in einer embryonalen Haltung auf dem Bett und war vielleicht tatsächlich eingeschlafen. Soweit Linda sagen konnte, blutete sie nicht mehr. Sie hätte ein bisschen Wasser und Seife nötig gehabt, doch noch dringender brauchte das Mädchen Ruhe.
Sie alle. Sie fragte sich ernstlich, ob irgendeiner der Subscriber von Serie Nummer 4 zu schätzen wusste, wie viel Zeit und Mühe Michael und sie aufbrachten, bis über dem Web-Theater der Vorhang fiel. Während sie sich ständig um jede denkbare Kleinigkeit kümmerten, mussten sie gegen ihre eigene Erschöpfung ankämpfen. Kreativität – das war das Entscheidende an Serie Nummer 4. Und das war harte Arbeit. Dass es nebenbei auch eine beträchtliche Rendite brachte, sinnierte Linda, zählte im Grunde nicht. Whatcomesnext.com hatte in erster Linie mit ihrer beider Engagement zu tun.
Video-Games zu entwerfen oder Porno-Websites zu betreiben, das waren einträgliche Erwerbszweige im Mainstream-Geschäft, mit jeweils Dutzenden und mehr Mitarbeitern. Doch keines dieser Unternehmen war auch nur annähernd so ihrer Zeit voraus wie sie und Michael, die in ihrer Show alles selbst erfunden hatten. Das erfüllte sie mit Stolz.
Sie lauschte auf Michael und grinste, als er eine Melodie nach der anderen verhunzte. Sie wären zu dieser Leistung nicht imstande, wenn sie sich nicht wirklich lieben würden. Sie musste laut lachen, als er aus der Dusche kam.
In den Jahren, seit sie zusammen waren, hatte sie sich jeden Handgriff von Michael im Badezimmer eingeprägt. Er nahm ein fadenscheiniges Handtuch und trocknete sich damit ab, um die letzten Spuren seiner bei Nummer 4 erledigten Aufgabe wegzurubbeln. Er würde gleich mit blank geschrubbter Haut, erfrischt und von der dampfenden Hitze ein bisschen gerötet, nackt vor ihr stehen. Im Geist sah sie, wie er sich die Haare abtrocknete. Dann würde er vor dem Spiegel stehen und sich einen Kamm durch die zerzausten Locken quälen. Vielleicht rasierte er sich danach. Mit angeklatschten Haaren, glatt rasierten Wangen käme er dann aus dem Bad und sähe sie mit seinem unwiderstehlichen schiefen Grinsen an.
Er wird schön sein,
dachte Linda
. Und ich werde immer für ihn schön bleiben.
Linda warf einen letzten Blick auf die Monitore: nichts von Nummer 4, außer dem gelegentlichen Kaninchenzucken. Ähnlich wie vermutlich die Kundschaft hätte sie am liebsten mit dem Bild auf dem Monitor gesprochen:
Das Schlimmste hast du hinter dir, Nummer
4
. Gut gemacht. Du hast es überlebt. Und so schlimm wird es schon nicht gewesen sein. Allzu weh hat es sicher nicht getan. Ich hab das auch mal hinter mich gebracht, das ergeht jedem Mädchen so. Außerdem wäre es auf dem Rücksitz irgendeines Autos oder in einem billigen, schäbigen Motelzimmer oder nachmittags auf der Wohnzimmercouch, kurz bevor deine Eltern von der Arbeit wiederkommen, bestimmt viel schlimmer gewesen. Allerdings war das nicht die größte Herausforderung, die dir blüht. Bei weitem nicht
.
Während sie auf das Tappen von Michaels Füßen auf dem Holzboden wartete, warf Linda einen raschen Blick auf die Chat-Tafeln. Hunderte Beiträge warteten auf ihre
Weitere Kostenlose Bücher