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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Anspruch zu nehmen, und versprach ihr ein extralanges Sitcom-Vergnügen für den nächsten Tag.
    Es schien Wolfe schwerzufallen, seiner Mutter diese kleinen Freuden zu verderben.
    Adrian bemerkte sein Mitgefühl, doch ihm entging auch nicht, wie sich derselbe Mann mit Feuereifer in die Bilderflut stürzte, die sie auf den Flachbildschirm bannten. Manchmal sagte Adrian: »Das bringt nichts, gehen wir zum Nächsten …«, doch Wolfe reagierte nur zögerlich, weil es ihm schwerfiel, sich loszureißen. Wolfe war zugleich stimuliert und auf der Hut. Adrian vermutete, dass der Triebtäter, wenn er sich in die Welten des Web begab, noch nie neben jemand anderem gesessen hatte.
    Für Adrians Geschmack war ihre Tour de Force abstumpfend und ermüdend. Sie sahen Kinder. Sie sahen Perversion. Sie sahen Tod. Es wirkte alles real, selbst wenn es gespielt war. Adrian begriff, dass die Grenzen zwischen Phantasie und Wirklichkeit fließend waren.
    Am Ende konnte er überhaupt nicht mehr sagen, ob das, was er vor sich hatte, tatsächlich passierte oder mit einem cleveren Griff in die Trickkiste von Hollywood vorgegaukelt wurde. Ein Terrorist, der eine Geisel exekutiert – das musste real sein, doch das geschah, dachte er, auf einer andersgearteten Stufe menschlicher Existenz.
    Wolfe tippte weiter, doch sein Tempo ließ nach. Adrian vermutete, dass es ihn ermüdet hatte, sich auf das Glatteis seiner verborgenen Wünsche zu begeben. Es war schon spät. »Hören Sie«, sagte Wolfe. »Wir sollten eine Pause einlegen. Vielleicht etwas essen. Einen Kaffee trinken. Kommen Sie, Professor, ruhen wir uns ein bisschen aus, dann schauen Sie morgen wieder vorbei, und wir versuchen’s weiter.«
    »Nur noch ein paar.«
    »Haben Sie eine Ahnung, wie viel Geld Sie schon ausgegeben haben?«, fragte Wolfe. »Allein schon durch die Anmeldung bei diesen Websites. Eine nach der anderen. Ich meine, das geht in die Tausende …«
    »Machen Sie weiter«, sagte Adrian. Er zeigte auf eine Liste, die auf dem Bildschirm eingeblendet wurde. Auf I’lldoanything.com folgten YourYoungFriends.com und Whatcomesnext.com.
    Wolfe klickte auf Letzteres und saß auf einmal senkrecht. »Also, guck sich das einer an. Die verlangen eine Menge Kohle für die Mitgliedschaft. Das ist eine teure Seite«, sagte er. »Die müssen was Besonderes bieten.« Mit einem Schlag wirkte er wieder energiegeladen. Es war nur rote Schrift auf schwarzem Grund zu sehen, eine Preisliste, dazu eine Stoppuhr und die Worte
Serie Nummer 4
. Kein Hinweis auf das eigentliche Produkt, woraus Adrian schloss, dass die Besucher schon wussten, was sie erwartete. Seine
     Neugier war geweckt. Im selben Moment zeigte Wolfe auf die Stoppuhr.
    »Stimmt die Zeit nicht mit dem Verschwinden von Ihrem Mädchen überein?«, fragte er.
    Adrian rechnete kurz nach. Er empfand plötzlich eine andere Art von Enthusiasmus als der Sexualstraftäter. »Zahlen Sie«, sagte er.
    Wolfe tippte Adrians Kreditkartennummer ein. Die beiden Männer warteten auf die Zahlungsbestätigung. Kaum war die Abbuchung erfolgt, erfüllte Beethovens »Ode an die Freude« den Raum.
    »Das ist cool«, sagte Wolfe, während er »Psychoprof« als Benutzernamen eintippte und eine Eingabeaufforderung für das Passwort erschien. Er tippte »Jennifer«. »Okay, Professor, dann schauen wir mal, was wir hier haben.«
    Noch ein Klick, und die Aufnahme einer Webcam beherrschte den Bildschirm. Eine junge Frau, deren Gesicht unter einer Haube verborgen war, saß allein auf einem Bett in einem kahlen Kellerraum. Sie zitterte vor Angst. Sie war nackt. Ihre Hände waren mit Handschellen und einer locker fallenden Kette an die Wand gefesselt. »Mann«, sagte Wolfe. »Das ist abgefahren.« Unter dem Bild standen die Worte »Sag hallo zu Nummer 4, Psychoprof«.
    Adrian starrte das Bild eindringlich an. Auf der Suche nach irgendeinem verräterischen Merkmal, das ihm weiterhelfen konnte, wanderte sein Blick über die Haut des Mädchens. Er sah nichts. »Ich kann’s nicht sagen«, bemerkte er wie zur Antwort auf eine Frage, die auf der Hand lag. Er stand auf und trat näher an den Fernsehapparat, als könnte er aus kurzer Distanz schärfer sehen. Aus den Lautsprechern ertönten schweres Atmen und gedämpftes Schluchzen.
    »Sehen Sie mal, Professor. Am Arm …« Adrian erkannte am Oberarm des Mädchens das Tattoo einer schwarzen Rose. Als er daraufstarrte, stellte sich Wolfe neben ihn. Er deutete auf den Fernsehapparat und berührte ihn mit der Hand, als

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