Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
Vom Netzwerk:
sagen …«
    Sie betrachtete ihn und streichelte seine Wange. Sie musste ihn nicht darum bitten, sie zu lieben. Sie sah, was er für sie empfand. Was er zuvor getan hatte, war nur gut fürs Geschäft.
    Linda hielt ihm die Lippen entgegen. Nur für eine Sekunde kam ihr die nächste schwierige Erledigung in den Sinn, doch sie wusste, dass Michael sich auch darum kümmern würde. Sie wusste, dass sie ihm dabei helfen musste. Wie sie es immer tat. Doch sie konnte sich darauf verlassen, dass er den schwierigsten Teil übernehmen würde. Liebe und Tod, dachte sie, laufen letztlich auf dasselbe hinaus.
    Dann überließ sie sich all den explosiven Emotionen, die sie bis ins Innerste erfüllten, und kostete mit mädchenhaftem Vergnügen jeden Moment aus.
     
    »Hey, Lin …«, sagte Michael am Computer. »Was hältst du davon, das hier volle Kanne zu spielen?« Nachdem sie sich geliebt hatten, war er vom Bett aufgestanden, und es hatte ihn magisch zu den Computern und Kameramonitoren hingezogen.
    Das Lautsprechersystem erfüllte den Raum mit Gesang. Es war ausgesprochen Country – in einem verlockend bodenständigen Stil und Rhythmus gab Loretta Lynn »High on the Mountain« zum Besten und entführte den Zuhörer mit jeder Note weiter zu den Gipfeln der Ozark oder der Blue Ridge Mountains.
    Linda zuckte die Achseln. »Die Babys oder die Schule willst du nicht wieder abspielen?«
    »Nein«, sagte Michael. »Ich dachte, ein bisschen Abwechslung könnte nicht schaden. Etwas völlig Unerwartetes und irgendwie Verrücktes. Ich bezweifle, dass Nummer 4 sich je alte Country-Musik angehört hat.« Er schwieg, während er weitertippte. Plötzlich stöhnte Chris Isaak »Baby did a bad bad thing« durch den Raum.
    »Der gute alte Kubrick«, sagte Linda. »Das gehört zum Soundtrack seines letzten Films.«
    »Ob das funktioniert?«
    Linda verzog das Gesicht. »Ich glaube, sie ist bereits vollkommen desorientiert, die weiß nicht mehr, wo oben und unten ist. Ich glaube, sie kann inzwischen nicht mehr sagen, wo sie sich befindet oder auch nur, wer sie ist. Musik – selbst wenn sie nur auf sie einhämmert –, ich weiß nicht …«
    »Uns bleiben nicht mehr viele akustische Optionen«, sagte Michael. »Ein paar, die wir noch nicht ausprobiert haben, hätte ich noch im Ärmel, aber …«
    Linda stand nackt auf und trat neben ihn vor den Monitor. Sie massierte ihm die Schultern. »Ich glaube …«, fing sie an. Er sah zu ihr auf.
    »Ich hab die Chat-Beiträge überflogen«, sprach er ihren Gedanken aus.
    »Ich auch.«
    »Vielleicht sind wir kurz vor dem Ende«, sagte er und griff auf ein paar von den eingegangenen Kommentaren zu.
Nicht aufhören! Mach’s noch mal! Und noch mal …
»Eine Menge in der Art«, sagte Michael. »Aber die hier …«
    Er verstummte, während sie sich beide vorbeugten und die Worte auf dem Bildschirm lasen.
Ich hätte gedacht, sie würde sich stärker wehren … Nummer
4
ist gebrochen. Nummer
4
ist hinüber. Kaputt. Finito. Erledigt. Nummer
4
ist Schnee von gestern. Sie kann weder vor noch zurück. Es gibt nur einen Ausweg für sie. Und genau das will ich sehen
 …
    Aus dem Hin und Her der Klienten sprach eine Art Verlustgefühl, eine Enttäuschung, als sähen sie zum ersten Mal in der Idealfigur von Nummer 4 Unvollkommenheiten. Zunächst war sie exquisites Porzellan gewesen; jetzt hatte sie die ersten Sprünge bekommen und war angeschlagen. Solange sie in dem Raum angekettet war und alle wussten und darauf gespannt waren, was passieren
könnte,
hatte sie ihre Phantasie beflügelt. Jetzt, nachdem das Unvermeidliche geschehen war, schien sie beschmutzt, und sie warteten auf das, was unweigerlich als Nächstes kam.
    Linda hörte auf, Michaels Schulter zu massieren, und drückte sie stattdessen einmal, so fest sie konnte. Er nickte. Er liebte so vieles an Linda, am meisten aber wohl ihre Fähigkeit, ohne Worte Bände zu sprechen. Auf der Bühne, dachte er, wäre sie eine Starbesetzung gewesen. »Ich mach mich dran, den Abgang ins Drehbuch zu schreiben«, sagte er. »Aber das will sorgfältig geplant sein.«
    Sie wussten beide, dass Nummer 4 über all ihre Planung und Erwartungen hinaus eine Situation geschaffen hatte, die einen ganz besonderen letzten Akt erforderte. »Wir müssen es so gestalten«, sagte Linda nachdenklich, »dass es denkwürdig ist. Ich meine, wir können es nicht einfach peng, bum enden lassen. Wir müssen etwas machen, das niemand jemals vergessen wird. Wenn wir dann Serie 5 angehen,

Weitere Kostenlose Bücher