Der Professor
könne er so die Person, die dort zu sehen war, streicheln. Adrian sah, worauf er zeigte. Eine dünne Blinddarmnarbe an der rechten Bauchseite des Mädchens.
»Aber das Alter könnte stimmen, oder?«
Adrian nahm den Handzettel. Weder ein Tattoo noch eine Narbe wurden dort erwähnt. Er zögerte. Er sah Wolfes Handy auf dem Tisch und griff danach.
»Wen rufen Sie an?«, fragte Wolfe.
»Raten Sie mal«, antwortete Adrian. Er wählte eine Nummer, doch sein Blick war auf das nackte, zitternde Mädchen vor seinen Augen fixiert.
Terri Collins nahm beim dritten Klingeln ab. Sie saß immer noch Mary Riggins und Scott West gegenüber und mühte sich zum hundertsten Mal durch dieselbe Erklärung. Mary Riggins schien einen unerschöpflichen Vorrat an Tränen zu haben, die in den Stunden, seit Terri bei ihr war, reichlich geflossen waren. Das verwunderte die Kommissarin nicht. Sie wusste, dass es ihr an Marys Stelle nicht anders gegangen wäre. Das Display auf ihrem Handy sagte ihr, dass der Anruf von Mark Wolfe kam. Das überraschte sie. Es war schon sehr spät, und es ergab auch keinen Sinn. Sexualstraftäter riefen
nie
bei der Polizei an, sondern höchstens umgekehrt.
Als sie Adrians Stimme hörte, war sie verblüfft. »Detective, tut mir leid, Sie um diese Zeit zu stören …«, fing er an. Er wirkte seltsam gehetzt. Terri Collins hatte Adrian bei ihren wenigen Begegnungen unstet und wechselhaft erlebt, doch
gehetzt
war etwas, das ihr im Zusammenhang mit dem Professor nie in den Sinn gekommen wäre.
»Was gibt’s, Professor?« Sie war kurz angebunden. Im Moment hatten die Tränen von Mary Riggins Vorrang.
»Hat Jennifer eine Narbe von einer Blinddarmoperation? Hat sie ein Tattoo mit einer schwarzen Blume am Arm?«
Terri wollte gerade antworten, überlegte es sich aber anders. »Wieso fragen Sie, Professor?«
»Ich will mir nur über etwas Klarheit verschaffen«, antwortete er.
Klarheit worüber?,
fragte sie sich. Die Anfrage erregte ihr Misstrauen, doch sie sagte nichts. Sie wollte den verwirrten alten Mann nicht unnötig verletzen, andererseits aber bei der Mutter und dem künftigen Stiefvater keine falschen Hoffnungen wecken. Sie wandte sich an Scott und Mary. »Hat Jennifer irgendwelche Narben oder Tattoos, die Sie vielleicht zu erwähnen vergaßen?«, fragte sie, während sie die Hand über den Hörer hielt.
Scott antwortete prompt. »Nein, hat sie nicht, Detective. Sie war doch noch fast ein Kind! Ein Tattoo? Ausgeschlossen. Das hätten wir ihr nie erlaubt, egal, wie oft sie darum gebeten hätte. Und sie war minderjährig, also konnte sie ohne unsere Erlaubnis keins bekommen. Und sie wurde auch nie operiert, Mary, oder?« Mary Riggins nickte.
Terri Collins sprach ins Handy. »Auf beide Fragen nein. Gute Nacht, Professor.« Sie trennte die Leitung, obwohl nun ihr selbst eine Reihe von Fragen im Kopf herumspukten, doch die mussten erst einmal warten. Zunächst musste sie sich irgendwie von der kummerbeladenen Mutter loseisen, und sie wusste noch nicht, wie sie das mit Takt und Anstand zuwege bringen sollte. Die meisten Cops, dachte sie, verstehen es, ihren Abgang zu machen, sobald sie den Schlag versetzt haben. Ihr ging diese Gabe ab.
Adrian klappte das Handy zu und starrte weiter auf den Bildschirm. »Man sieht nicht viel …«, sagte er.
Wolfe kehrte zur Tastatur zurück. »Hören Sie. Die haben ein Bildschirmmenü. Sehen wir wenigstens da mal nach.« Er klickte zuerst auf eine Kapitelüberschrift, »Nummer 4 isst«, und eine neue Filmsequenz erschien.
Darin leckte das Mädchen eine Schale Haferflocken aus. Beide Männer beugten sich vor, da bei dieser Sequenz die Haube durch eine Augenbinde ersetzt war. Somit hatten sie ein paar Züge mehr zum Vergleich. Wolfe hielt den Vermisstenhandzettel direkt neben den Fernsehapparat. »Ich weiß nicht, Professor, ich meine, kein Tattoo, aber, verflucht, der Haaransatz scheint zu passen …«
Adrian starrte angestrengt hin. Die Kinnpartie. Die Form der Nase. Der Schwung der Lippen. Die Länge des Halses. Er merkte, wie sich seine Augen in die Bildfolge bohrten. Er erstarrte, als er sah, wie das Tablett von einer maskierten Person in einem Overall weggetragen wurde.
Eine Frau,
dachte er, nachdem er ihre Größe und Gestalt abgeschätzt hatte,
selbst unter diesem weiten Anzug zu erkennen
.
Als sich Tommy zu Wort meldete, schien die Stimme aus seinem Innersten zu kommen.
»Dad … wenn du verbergen wolltest, um wen es sich bei einer Person handelt, die
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