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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Frau mehr als einmal am Bettzeug festgekrallt, während sie genauso gebannt wie der Mann das Drama auf dem Bildschirm verfolgte. Im Lauf der letzten Stunde hatten sie kaum ein Wort gesprochen, auch wenn sie beide fühlten, dass zwischen ihnen ein intensiver Austausch stattgefunden hatte. Der Mann – halb Krimineller, halb Unternehmer – hatte Fabrikat und Kaliber der Waffen, die er gesehen hatte, vor sich hin gemurmelt, den Colt Kaliber 357 Magnum, den Nummer 4 festhielt, und die Ruger Neunmillimeter, die er in den Händen des alten Mannes sah.
    Dem Paar erschien diese neue Figur faszinierend, fast wie ein göttlicher Gesandter, und während sie sich das Hirn zermarterten, was sein Erscheinen zu bedeuten hatte, jagte ihr Puls. Der Mann dachte einen Moment daran, zu seiner Tastatur zu greifen und nachzufragen, wer das war, doch er konnte sich von dem, was auf dem Bildschirm vor sich ging, keine Sekunde lösen. Als gar seine Geliebte seine Hand ergriff und sich – wie Nummer 4 ihren Stoffbären – fest an die Brust drückte, war jeder Gedanke an eine interaktive Anfrage vergessen.
    Noch vor wenigen Minuten hatten sie beide gedacht, Nummer 4 würde vor ihren Augen sterben. Von Anfang an hatten sie keinen Zweifel gehegt, dass ihr der Tod bestimmt war. Doch was sich jetzt abspielte, sprengte den Rahmen jedes Drehbuchs, das sie sich ausgemalt hatten. Der Mann hatte irgendwie geglaubt, Nummer 4 gehörte ihm genauso wie die unschätzbaren Gemälde, seine goldene Rolex, sein dicker Mercedes und sein Gulfstream-Privatjet. Doch jetzt überkam ihn das Gefühl, als ob sie sich seinem Zugriff entzöge, und zu seiner großen Überraschung war er darüber nicht verärgert oder enttäuscht. Er merkte, wie er sie vorandrängte, auch wenn er nicht wusste, wohin. Seiner Geliebten ging es genauso, obwohl sie sich viel schneller auf die veränderte Situation einzustellen wusste. Im Flüsterton redete sie mit dem Mädchen auf dem Bildschirm, so wie sie es tat, wenn sie mit dem Mann eng umschlungen lag, doch statt leidenschaftlicher Liebesbeteuerungen wisperte sie im russischen Dialekt ihrer Kindheit: »Lauf, Nummer 4! Lauf weg! Bitte …«
    Alles, was da vor sich ging, war Michael vollkommen unverständlich. Sonst stand alles im Drehbuch, das hier nicht. Alles war geplant, das hier nicht. Er wusste immer mehr oder weniger genau, was nach jedem neuen Handlungselement passieren würde, jetzt allerdings nicht. Er starrte auf den Monitor, als sei er auf dem falschen Sender, als verfolgte er eine Handlung, die sich irgendwo auf dem Globus zutrug und nicht ein paar Meter entfernt in einem Raum unter seinen Füßen.
    Linda reagierte kaum schneller. Ihr erster Instinkt sagte ihr, dass ihre Albtraum-Phantasie – der imaginäre Detektiv, eine Mischung aus Sherlock Holmes, Miss Marple und Jack Bauer – nun tatsächlich auf der Bildfläche erschienen war. Doch im selben Moment verwarf sie den Gedanken, da sie der Einstellung von Kamera B entnehmen konnte, dass es sich bei dem Eindringling in der Zelle von Nummer 4 um keinen Polizisten und allem Anschein nach auch sonst um keinen Profi handelte, obwohl er eine Waffe bei sich hatte.
    Linda war mit wenigen Sätzen an einem Fenster und verschaffte sich blitzschnell einen Überblick über die Welt außerhalb der Bauernhauswände. Draußen war keine Flotte von Streifenwagen vorgefahren, es heulten keine Sirenen, und kein Lautsprecher forderte sie auf, sich zu ergeben. Über dem Haus kreiste kein Helikopter.
    Sie wirbelte erneut zu den Monitoren herum. »Michael«, sagte sie, »wer auch immer das zum Teufel ist, der Kerl ist allein!« Während sie sprach, hastete sie zu dem Tisch mit den Waffen.
    Michael sprang ihr zur Seite. Er ging die Sammlung blitzschnell durch und drückte Linda die Kalaschnikow in die Hände. Er wusste, dass das Dreißig-Schuss-Bananenmagazin voll war, und stopfte sich ein zweites in die Hosentasche. Dann schwenkte er die Trommel eines Revolvers aus, um sich davon zu überzeugen, dass auch der voll geladen war, und klemmte ihn sich unter den Gürtel seiner Jeans. Als Nächstes griff er zu dem Gewehr Kaliber 12 und schob hastig Patronen in den Verschluss. Doch nachdem er voll war und er die Waffe mit einer einzigen Rauf-runter-Bewegung gespannt hatte, nahm er nicht etwa eine der beiden halbautomatischen Pistolen vom Tisch, sondern seine kleine Sony- HD -Kamera.
    »Wir müssen das alles auf Video bekommen«, sagte er, nahm hastig einen der Laptops und stöpselte ein Kabel

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