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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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ertastet hatte. In der kalten Deckenbeleuchtung schimmerte er schwarz und bedrohlich. Sie ließ den Blick schweifen und entdeckte plötzlich Mister Braunbär, der an einer Wand lag, ein achtlos weggeworfenes, verdrehtes Bündel aus braunem Material. Sie konnte nicht sagen, wieso sie nicht mitbekommen hatte, wie die Frau das Spielzeug fallen ließ, doch ohne nachzudenken, sprang sie auf, war mit wenigen Schritten bei Mister Braunbär, hob ihn auf und drückte ihn sich zärtlich an die Brust. Ein paar Sekunden stand sie einfach nur da und wiegte sich vor Freude, nicht mehr allein zu sein, ein wenig hin und her. Dann kehrte sie widerstrebend zum Interview-Stuhl zurück, sackte auf den Sitz und hob die Waffe wieder auf.
    Jennifer und ihr Stofftier starrten in die Kamera. Am liebsten hätte sie dem Stativ einen Tritt verpasst, doch sie tat es nicht. Ein letztes Mal sah sie sich um. Jede Wand solide. Die Tür war, wie sie wusste, verschlossen. Es gab keinen Ausweg. Es hatte nie einen gegeben. Es war töricht von ihr gewesen anzunehmen, dass sie diesem Raum je entrinnen würde außer auf dem Wege, den sie jetzt beschreiten musste. »Es tut mir leid«, flüsterte sie sich selbst und ihrem Gefährten zu. Sie hoffte, dass niemand anders sie hören konnte.
    Sie hob die Waffe und fing plötzlich zu zittern an. Ihre Hände bebten, und sie drückte den Teddy noch fester an sich, als könnte er ihr dabei helfen, ihre zuckenden Muskeln zu beruhigen.
    Sie hielt sich den Lauf an den Kopf und hoffte, dass sie es richtig machte. Sie starrte in die Kameralinse. »Seht ihr auch genau hin?«, fragte sie.
    Es klang schwach. Sie hatte ihre Auflehnung hineinlegen wollen, brachte sie jedoch nicht mehr auf. Eine mächtige Woge der Trauer schlug über ihrem Kopf zusammen und begrub alles unter sich, das einmal Jennifer gewesen war.
Es ist alles vorbei.
    »Ich heiße Nummer 4«, sagte sie in die Kamera. Sie hatte zu viel Angst, um zu schießen, und zu viel Angst, es nicht zu tun, und in genau diesem Moment hörte sie etwas, das sie noch mehr verwirrte. Es war ein einziges Wort, und es kam zugleich ganz aus der Nähe und von weit weg. Es schien, als riefe eine verschüttete Erinnerung nach ihr, und es hallte durch den Raum.
    »Jennifer?«
     
    Michael beugte sich ruckartig zum Monitor vor. »Was zum Teufel war das?«, fragte er. Linda drängte sich neben ihn. »Hast du irgendwelche Spezialeffekte eingespielt?«, fragte er alarmiert.
    »Nein! Ich hab nur zugesehen, genau wie du. Verdammt! Genau wie
alle anderen!
«
    »Und was …«
    »Sieh dir Nummer 4 an!«, sagte Linda.
     
    Wie ein Segel, das sich losgerissen hat und in einer starken Brise flattert, wurde Jennifer am ganzen Körper durchgeschüttelt. Die auf ihre Schläfe gerichtete Waffe hing ein wenig herab, und sie drehte den Kopf in die Richtung, aus der sie ihren Namen gehört hatte.
    »Jennifer?«
    Sie wollte rufen:
Ich bin hier!,
doch sie war sich nicht sicher, ob sie es wirklich gehört oder sich nur eingebildet hatte. Stattdessen sagte sie sich:
Das sind die! Sie lügen mich schon wieder an. Es ist noch so ein Betrug.
    Trotzdem drehte sie sich ein wenig auf ihrem Stuhl um und starrte zur Tür. Sie hörte, wie das Riegelschloss zurückschnappte und die Tür sich öffnete.
    Jennifer wurde bewusst, dass diesmal sie eine Waffe hatte.
Sie kommen, um mich zu töten.
Sie ließ den Revolver sinken.
Wenigstens einen von ihnen erwische ich, Mister Braunbär.
Wenigstens einen von ihnen nehme ich mit.
Sie zielte auf die Tür.
Erschieß sie! Erschieß sie!
    Die Tür ging langsam auf.
     
    Adrian spähte um die Ecke. Das Seltsame war, dass er nicht wusste, was ihn erwarten würde. Er sagte sich immer wieder, dass er sie auf der Straße gesehen hatte und dann wieder auf Fotos bei ihr zu Hause. Er hatte sie bei Mark Wolfe auf dem Computer beobachtet. Er hatte den Raum und das Bett und die Ketten und ihre Maske gesehen, sollte folglich in der Lage sein, sich vorzustellen, womit er hinter dieser Tür zu rechnen hatte, doch all diese Dinge verschwanden ins Bodenlose, und es kam ihm so vor, als beträte er Neuland. Er rief sich lediglich ins Gedächtnis, seine Waffe schussbereit zu halten.
    Das Erste, was er sah, war die auf ihn gerichtete Revolvermündung. Sein unmittelbarer Instinkt war zurückzuspringen, und seine Muskeln spannten sich wie die eines Mungos beim Anblick einer aufgereckten Kobra – doch dann hörte er, wie aus irgendeiner tiefen Schlucht in seinem Innern sein Sohn in ruhigem Ton zu ihm

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