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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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aus einer Kamera in eine der Computerbuchsen ein. Er wusste, dass er mit Gewehr, Kamera und Computer alle Hände voll zu tun haben würde, doch es war unverzichtbar, Bilder hinauszuschicken. Für Michael waren Filmen und Töten untrennbar miteinander verschmolzen und beides gleich wichtig.
    Linda verstand sofort. Wenn sie das Ende von Serie Nummer 4 nicht produzierten, würde es zu Serie Nummer 5 nie kommen. Ihre Kundschaft verlangte nach einem unwiderruflichen Ende, das sie mit eigenen Augen sahen – und sei es auch nur in technisch nicht ganz ausgereifter Form. Sie verlangten ein Ende, auch wenn es ein wenig anders ausfiel als von Michael und Linda geplant.
    Beide waren angesichts der überraschenden Wendung höchst alarmiert, andererseits zu gesteigerter Kreativität animiert. Als Linda ihre Automatik entsicherte, dämmerte ihr, dass sie dabei waren, wahre Kunst zu schaffen. Sie erwartete eine ultimative Performance, die
niemand,
der sie sah, jemals vergessen würde. Mit tödlichen Waffen und künstlerischem Schwung gerüstet, rannten Michael und Linda donnernd über die abgetretenen alten Dielen zur Kellertreppe.
     
    Der Geisterchor erfüllte Adrians Kopf mit besonnenen Befehlen, alle eindringlich, alle im Flüsterton.
»Sei sanft. Sei behutsam. Gewinne ihr Vertrauen …«
Adrian konnte nicht unterscheiden, ob es Cassie oder Brian oder gar Tommy war. Vielleicht waren es alle zusammen.
    »Ja«, sagte er langsam. »Ich glaube, Mister Braunbär gehört jetzt nach Hause. Ich glaube, Jennifer sollte auch mitkommen. Ich bringe euch beide hin.«
    Plötzlich ließ das Mädchen den Revolver sinken. Sie sah ihn fragend an. »Wer sind Sie? Ich kenne Sie nicht.«
    Adrian lächelte. »Ich bin Professor Adrian Thomas«, sagte er. Unter den gegebenen Umständen klang es schrecklich förmlich. »Nenn mich Adrian. Auch wenn du mich nicht kennst, Jennifer, kenne ich dich. Ich wohne in deiner Nähe, nur ein paar Straßen weiter. Ich bring dich jetzt dahin.«
    »Das wäre schön«, sagte sie und hielt ihm die Waffe hin. »Brauchen Sie die?«
    »Lass sie einfach da liegen«, antwortete Adrian.
    Jennifer kam seiner Aufforderung nach und ließ die Waffe aufs Bett fallen. Sie spürte auf einmal Wärme und fühlte sich unversehens in ihre Kindheit zurückversetzt, als spielte sie an einem warmen Tag draußen alleine in der Sonne. Sie wurde zugänglich. Zwar war sie immer noch nackt, doch sie hatte ihren Bären und einen Fremden, der nicht der Mann oder die Frau war, und so würde sie alles bereitwillig akzeptieren, was von jetzt ab mit ihr geschah.
    Ihr kam der Gedanke, dass sie vielleicht schon tot war. Für eine Sekunde schoss ihr die Möglichkeit durch den Kopf, dass sie tatsächlich abgedrückt hatte und dass dieser alte Mann in Wahrheit so etwas wie eine Art Helfer und Gefährte war und sie zu ihrem Vater bringen würde, der in einer besseren Welt auf sie wartete. Ein Führer am Übergang zwischen Leben und Tod.
    »Ich denke, es wird Zeit, dass wir gehen«, sagte Adrian und nahm sie behutsam an der Hand. Adrian hatte keine Ahnung, was er jetzt tun sollte. Ein Fernseh-Cop würde laut sprechen, die Dinge in die Hand nehmen, seine Waffe schwingen und sich mit bewährtem Hollywood-Bravado als Herr der Lage erweisen. Doch der Psychologe in ihm sagte ihm, dass er, bei aller gebotenen Eile, behutsam vorgehen musste. Jennifer war äußerst verletzlich. Sie aus der Zelle und aus dem Bauernhaus zu bringen war wie der Transport eines zerbrechlichen, doch äußerst kostbaren Guts.
    Adrian geleitete sie durch die Tür in den dunklen, feuchten Keller. Er hatte keinen echten Plan, da er sich so darauf fixiert hatte, das Mädchen zu finden, dass die Frage, was er danach machen sollte, ihm kaum in den Sinn gekommen war. Er hoffte, dass ihm seine Geister sagen würden, welche Schritte folgen sollten.
    Vielleicht taten sie das ja längst, dachte er, während er den Teenager halb führte, halb trug.
    Sie lehnte sich wie eine Verwundete an ihn. Er humpelte wegen seiner Verletzung. Er merkte, wie in seinem Schuh Knochen aneinanderrieben, und wusste, was das zu bedeuten hatte. Er biss die Zähne fest zusammen.
    In dem Moment, als sie aus der Zelle kamen, hörten sie das erschreckende Getrappel eiliger Schritte direkt über ihnen.
    Jennifer erstarrte und krümmte sich, als hätte ihr jemand in den Magen geboxt.
    Aus ihrer Brust entwich ein Laut – kein Schrei, sondern ein gurgelnder, kehliger, urtümlicher Laut der Panik und Verzweiflung.
    Adrian

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