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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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hin und stellte fest, dass in einer Ecke Wände eingezogen worden waren und dass an dieser Stelle das undefinierbare Gerümpel, das sich über Jahre angesammelt hatte, zur Seite geräumt worden war, um der Baumaßnahme zu weichen. An der vorderen Wand des eingelassenen Raums befand sich eine billige Holztür mit einem Riegelschloss daran. Es sah nach einem behelfsmäßig zusammengeschusterten Machwerk aus, das lange vor dem Anstrich abgebrochen worden war.
    Es war eine Zelle, eine größere Version jener Käfige, wie er sie bei seinen Laborratten verwendet hatte.
    Adrian tastete nach seiner Automatik und nahm sie wieder an sich. Er erkannte, dass er sich zum Fenster hineinwinden musste. Vorsichtig schob er die Beine hindurch. Man konnte das Schiebefenster nicht arretieren, und so fiel es ihm bei seinem Versuch, hineinzukriechen, immer wieder auf den Rücken, die Schultern, den Kopf. Ein drahtiger, gelenkiger, sportlicher Mensch wäre mühelos in den Keller gekommen, doch Adrian war weit davon entfernt. Er hatte seine liebe Not damit, das Gleichgewicht zu wahren, während er sich hinunterließ wie ein Bergsteiger, der am Ende des Seils angelangt war.
    Er wusste, dass es absolut notwendig war, sich leise zu verhalten. Seine Zehen streckten sich ins Leere. In der Hoffnung, etwas zu finden, das Halt bot, bewegte er sich ein Stück nach rechts, dann nach links. Er merkte, wie ihm die Finger vom Fensterrahmen glitten. Er wusste nicht, wie weit der Kellerboden entfernt war – vielleicht ja nicht viel mehr als einen Meter, doch im Moment fühlte er sich, als hinge er über einer Hunderte Meter tiefen Gletscherspalte. Die Schwerkraft zog an ihm, er holte tief Luft und ließ sich fallen.
    Er traf mit Wucht auf den Zementboden, so dass sein Knöchel abknickte und ihm der Schmerz durch den Fuß schoss. Doch die Wucht seines Aufpralls und sein Stöhnen über die Schmerzen wurden plötzlich von einem qualvollen, animalischen Schrei übertönt, der durch die verriegelte Zellentür drang.
     
    Der letzte Knoten löste sich, und Jennifer merkte, dass die Haube ihr nur noch lose auf dem Kopf saß. Sie brauchte sie nur hochzuheben und zu entfernen. Sie zögerte. Es war ihr inzwischen egal, ob sie damit irgendwelche Regeln brach. Sie fürchtete sich auch nicht mehr davor, was der Mann und die Frau mit ihr machen könnten. Ihr blieb nur noch ein einziger letzter Schritt, doch plötzlich steckte sie wie in einem Spinnennetz fest; obwohl es nur eine zarte Handbewegung gekostet hätte, es zu zerstören, scheute sie davor zurück: Sie wusste nicht, ob sie in ihren letzten Sekunden ihre Zelle sehen wollte. Es käme ihr so vor, als stünde sie am Rand ihres eigenen Grabes und starrte in ein Erdloch, das sie willkommen hieß.
Hier stirbt Nummer
4
. Wie erwartet
.
    Im nächsten Moment wurden diese Gedanken von einer unbändigen Wut verdrängt, die in einer brodelnden Fontäne in die Höhe schoss wie siedend heißes Wasser durch ein geplatztes Rohr. Nicht dass sie sich noch wehren wollte – die Möglichkeit war vor Minuten, Stunden, Tagen verstrichen. Es ging eher um die unerträgliche Zumutung, bei ihren letzten Atemzügen nicht sie selbst zu sein.
    Und Jennifer schrie.
    Keine Worte. Keinen Satz. Es war nichts weiter als ein Schrei voller Wut und Empörung. All die Jahre ihres Lebens, die ihr gestohlen wurden, entluden sich in einem einzigen, anhaltenden Verzweiflungsschrei. Obwohl von der Haube gedämpft, hallte er durch den Raum, drang durch die Wände und die Decke.
    Jennifer war sich kaum bewusst, dass er aus ihrer eigenen Kehle drang. Sie hatte keine Ahnung, wieso sie ihn ausgestoßen hatte. Doch kaum war er ihr über die Lippen gekommen, riss sie sich die Haube vom Kopf.
    Wie zuvor in dem wundervollen kurzen Moment, als sie glaubte, fliehen zu können, blendete sie das Licht. Zuerst dachte sie, auch diesmal halte ihr der Mann oder die Frau ein Scheinwerferlicht ins Gesicht. Doch im selben Moment erkannte sie, dass es die gewöhnliche Beleuchtung der Zelle war. Sie blinzelte heftig. Sie hob schützend die freie Hand über die Augen und rieb sich dann das Gesicht. Die Stille im Raum erschien ihr plötzlich anders als sonst. Sie musste genau hinhorchen, um ihren eigenen stockenden Atem zu hören.
    Es kostete sie Sekunden, Sehen und Hören zu koordinieren; als sich ihre Wahrnehmung normalisiert hatte, sah sie die Waffe, und sie erschien ihr weitaus hässlicher als bei der bloßen Berührung, nachdem sie den Revolver zu ihren Füßen

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