Der Professor
Polizistin hatte einen unerbittlichen Blick, der über bloße Skepsis hinausging.
Er fühlte sich zwischen verschiedenen Gedanken hin und her gezogen und hoffte inständig, dass er nicht wie bei seinem Notruf zu konfus war. Er ging die wenigen Beobachtungen und bescheidenen Details, die er im Kopf hatte, wie ein Schauspieler, der seinen Text memoriert, noch einmal durch. Er versuchte, all diese Eindrücke zu einer schlüssigen Einschätzung des Vorfalls zusammenzufassen, damit die Ermittlerin nicht dachte, er sei einfach nur ein verwirrter alter Mann, auch wenn er genau das war.
Als er sich kurz zu Mary Riggins und Scott West umdrehte, warf Adrian in der Hoffnung, dass Brian sich irgendwo versteckte, um ihm zu sagen, wie er mit der Polizistin umgehen sollte, einen verstohlenen Blick in die Runde. Doch in diesem Moment war er allein – jedenfalls nicht in Begleitung seines Bruders.
»Mrs. Riggins«, sagte Terri langsam, »Entführungen sind komplizierte Verbrechen. Gewöhnlich geht es dabei um Lösegeld, oder aber ein getrennt lebendes Familienmitglied stiehlt dem anderen ein Kind.«
Mary schüttelte den Kopf, auch wenn ihr keine Frage gestellt worden war.
»Dann gibt es da noch die dritte Art«, warf Scott mit einem bösen Blick in ihre Richtung ein. »Sexueller Übergriff.«
Terri nickte. »Ja. Selten. Etwa so wahrscheinlich, wie vom Blitz getroffen zu werden.«
»Ich glaube, darauf sollten Sie sich konzentrieren«, sagte Scott.
»Ja, aber nicht, ohne die anderen ausschließen zu können …«
»Und Zeit zu verschwenden?«, unterbrach sie Scott.
Terri schwieg einen Moment und richtete ihren durchdringenden Blick auf den Mann. Sie hatte sich schon gedacht, dass er sie in diese Richtung manipulieren wollte. Ihr ging es nur gegen den Strich, sich ausgerechnet von einem Menschen Nachhilfeunterricht geben zu lassen, den sie verdächtigte, selber nicht weit von sexuellem Übergriff gewesen zu sein. Sie beschloss, den Spieß umzudrehen. »Vielleicht gibt es ja in diesem Zusammenhang etwas, das Sie mir noch nicht erzählt haben. Vielleicht in Ihrer Praxis …« Sie fing den Satz langsam an, doch dann überschlugen sich ihre Worte. »… vielleicht ein Patient. Jemand, der wütend oder verstimmt ist. Vielleicht sogar jemand mit einer psychotischen Störung, der Ihnen schaden will und sich an Jennifer hält.«
Scott hielt augenblicklich die Hand in die Höhe. »Das ist höchst unwahrscheinlich, Detective. Ich bin mir durchaus
aller
Probleme bewusst, die meine Patienten haben, aber keiner von ihnen wäre zu so etwas fähig.«
»Nun«, fuhr Terri fort, »sicher haben Sie den einen oder anderen … Fall mit einem nicht ganz zufriedenstellenden Heilerfolg zu verzeichnen?«
»Selbstverständlich«, schnaubte Scott. »Jeder Therapeut mit einer halbwegs realistischen Selbsteinschätzung weiß, dass er nicht für jeden Patienten die ideale Besetzung sein kann. Hier und da ist Scheitern unvermeidbar.«
»Demnach wäre auch die Vermutung nicht ganz abwegig, dass einer dieser weniger erfolgreichen Fälle einen gewissen Groll gegen Sie hegen könnte?«
»Das ist allerdings schon abwegig, Detective.« Er klang zugeknöpft. »Die Vorstellung, dass einer meiner Patienten sich einen detaillierten Racheplan aushecken könnte … nein. Unmöglich. So viel Ablehnung würde mir nicht verborgen bleiben.«
Klar doch,
dachte Terri. Sie schärfte sich ein, ihre Meinung von Scott – oder auch das, was sie von Jennifers Computerfestplatte wusste – nicht in ihre Vernehmung einfließen zu lassen. Doch innerlich freute sie sich schon jetzt darauf, Fragen in dieser Richtung zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen. »Wie dem auch sei, möglicherweise brauche ich von Ihnen noch eine Liste mit den Namen.«
Scott machte eine kleine, wegwerfende Handbewegung. Ob er damit resigniertes Einverständnis oder Protest oder keins von beidem signalisierte, war ungewiss. Terri ging nicht davon aus, dass er ihrer Aufforderung nachkommen würde. Sie wandte sich wieder an Mary Riggins. »Also, Familienmitglieder … wie sieht es mit den Angehörigen Ihres verstorbenen Mannes aus?«
Mary schien verwirrt. »Na ja, meine Beziehung zu ihnen war nicht gerade vom Besten, aber …«
»Hat es schon mal Konflikte wegen Jennifer gegeben?«
»Ja. Ihre Großeltern beklagen sich, dass ich sie nicht annähernd oft genug mit ihnen zusammenbringe. Sie sagen, sie sei das Einzige, was ihnen von ihrem Sohn geblieben ist. Und mit ihren beiden Tanten hab ich
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