Der Professor
vor, sie sei ein kleiner angeketteter Hund, ohne sich allerdings wie das Tier dagegen aufzubäumen. Jennifer zählte gerade
achtzehn,
als sie mit der linken Zehe gegen etwas auf dem Boden stieß. Es war vollkommen unerwartet, und sie erschrak so sehr, dass sie beinahe hinfiel.
Es war weich, erinnerte an Fell und wirkte lebendig. Sie stolperte zurück, während sie Bilder bestürmten.
Eine Ratte!
Sie wollte weglaufen, konnte es aber nicht. Sie wäre am liebsten wieder aufs Bett gesprungen, um sich in Sicherheit zu bringen. In Panik machte sie einen Schritt und taumelte verwirrt zur Seite. Plötzlich wusste sie nicht mehr, wo sich die Wand oder das Bett befand. Sie ruderte mit den Armen und boxte in die Luft, während ihr bewusst wurde, dass sie ein- oder zweimal geschrien hatte, und im Moment stand unter der Haube ihr Mund weit offen. Sie hatte ihre Zahlen vergessen. Die Dunkelheit kam ihr noch schwärzer und bedrückender vor, und sie schrie so laut sie konnte: »Weg!«
Der Klang ihrer Stimme hallte durch den Raum, bis sie nur noch das Adrenalin pumpen hörte, das ihr wie ein angeschwollener Fluss in den Ohren rauschte. Ihr pochte das Herz bis zum Hals, und sie merkte, wie sie am ganzen Körper zitterte. Sie berührte die Kette – überlegte, dass sie sich daran wie an einer Rettungsleine, die einem Ertrinkenden zugeworfen wird, zum Bett zurückhangeln konnte, um die Füße vom Boden zu bekommen, um sich
vor dem, was dort lauerte,
in Sicherheit zu bringen.
Sie wollte den Rückzug antreten, doch dann horchte sie. Kein Geräusch von kleinen Pfoten, die davonhuschten. Jennifer holte tief Luft. Einmal hatten sie in den Wänden ihres Hauses eine Mäusefamilie gehabt, und ihre Mutter und Scott hatten, wie es sich gehört, überall Fallen aufgestellt und Gift ausgelegt, um sie loszuwerden. Doch Jennifer erinnerte sich in diesem Moment an das unverkennbare Geräusch, das sie machten, wenn sie spätnachts durch die Zwischenräume hinter dem Holzständerwerk huschten. Hier dagegen gab es kein Geräusch.
Ihr zweiter Gedanke war:
Es ist tot. Was es auch ist, es ist tot.
Sie rührte sich nicht und spitzte die Ohren. Außer ihrem eigenen schweren Atem war nichts zu hören. Was konnte es sein? Sie ließ den Gedanken an eine Ratte fallen, auch wenn sie in einem Keller gefangen war.
Sie führte sich das unmittelbare Gefühl an ihrer Zehe vor Augen und versuchte, es zuzuordnen, doch vergeblich. Jennifer holte noch einmal tief Luft. Wenn du dich jetzt aufs Bett zurückziehst, sagte sie sich, wirst du nur in Angst und Schrecken dasitzen, weil du es nicht weißt.
In ihren Augen war es eine furchtbare Wahl. Entweder diese Ungewissheit oder aber zurückgehen, dieses Etwas noch einmal berühren und feststellen, um was für ein
totes Ding
es sich handelte. Sie zuckte. Ihr zitterten die Hände. Sie merkte, wie ihr Schauder den Rücken hinauf- und hinunterjagten, sie fröstelte und schwitzte.
Geh zurück. Find’s heraus.
Ihr Mund und ihre Lippen schienen, falls das möglich war, noch trockener als zuvor. Angesichts ihrer Wahl drehte sich ihr alles im Kopf.
Ich bin nicht tapfer,
sagte sie.
Ich bin noch fast ein Kind.
Allerdings war unter dieser schwarzen Haube kein Raum für kindliches Verhalten. »Komm schon, Jennifer«, flüsterte sie. Das alles war ein Albtraum. Wenn sie nicht zurückkehrte und herausfand, was sie mit dem Zeh berührt hatte, würde der Albtraum nur schlimmer.
Sie machte einen Schritt. Dann einen zweiten. Sie wusste nicht, wie weit sie zurückgewichen war, doch jetzt maß sie ihre Schritte nicht mehr, sondern hob einfach nur das linke Bein, drehte den Fuß nach außen und bewegte ihn wie eine Balletttänzerin oder wie eine Schwimmerin, die wissen will, wie warm das Wasser ist, vor und zurück. Sie hatte Angst vor dem, was sie finden würde, aber auch, dass es verschwunden sein könnte.
Etwas Totes, etwas Unbelebtes war etwas Lebendigem entschieden vorzuziehen.
Sie konnte nicht sagen, wie lange sie brauchte, um den Gegenstand mit der Zehe ausfindig zu machen. Vielleicht lediglich Sekunden. Vielleicht auch bedeutend länger. Sie wusste nicht, wie schnell sie sich bewegte. Als ihr Zeh an das haarige Etwas stieß, kämpfte sie gegen den Drang an, es wegzutreten. Sie wappnete sich innerlich und zwang sich, auf die Knie zu gehen. Der Zement kratzte an ihrer Haut. Sie griff mit den Händen nach dem Gegenstand. Er war aus Fell. Er war fest. Er war leblos.
Sie zog die Hände zurück. Was es auch sein mochte, es stellte
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