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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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und schlug es auf. Es enthielt ein halbes Dutzend Fotos ihrer eigenen beiden Kinder. Sie starrte auf jedes Bild und rief sich ins Gedächtnis, bei welcher Gelegenheit es entstanden war.
Das hier war eine Geburtstagsfeier. Das hier war, als wir im Campingurlaub einen Ausflug nach Acadia gemacht haben. Das hier
     war der erste Schnee vor zwei Jahren.
Manchmal half es ihr, sich in Erinnerung zu rufen, wieso sie Polizistin geworden war.
    Sie griff nach dem Handzettel mit der Vermisstenmeldung, den sie für Jennifer angefertigt hatte. Sie wusste, dass es ein Fehler war, ihre Arbeit nicht von Emotionen frei zu halten. Wer bei der Polizei etwas werden wollte, der musste sehr früh lernen, dass zu Hause zu Hause war und Arbeit Arbeit und dass nichts Gutes dabei herauskam, wenn man beides miteinander vermengte, da in diesem Fall keine kühl überlegten, vernünftigen Entscheidungen getroffen wurden.
    Sie betrachtete Jennifers Bild. Sie erinnerte sich, nach dem zweiten Ausreißversuch mit dem Teenager gesprochen zu haben. Es hatte nichts gefruchtet. Bei allem Unglück war das Mädchen zugleich intelligent und entschlossen und vor allem hart im Nehmen gewesen. Auch wenn sie in einer Stadt aufgewachsen war, in der es von Leuten mit allen möglichen Prätentionen, von Exzentrikern und ach so ehrenwerten Menschen wimmelte, zählte Jennifer eher zu den Hartgesottenen.
    Dabei war sie nicht etwa nur aufgesetzt taff. Kein Teenagergehabe, nicht diese Haltung
Ich will ein Tattoo, und ist es nicht cool, dass ich meiner Englischlehrerin ins Gesicht gesagt habe, sie sei eine Hure, und hinter dem Rücken meiner Eltern Zigaretten rauche
? Jennifer hatte, schätzte Terri, viel Ähnlichkeit mit ihr selbst in dem Alter. Und Jennifer hatte recht ähnliche Emotionen umgesetzt wie Terri, als sie vor einem Mann weglief, der sie misshandelte.
    Terri seufzte tief.
Du solltest eigentlich sofort die Finger von dem Fall lassen. Gib ihn an einen Kollegen ab und halt dich da raus, denn du
     wirst nicht klar sehen.
Damit hatte sie recht, andererseits wieder nicht. Auch wenn es ein noch unausgegorener Gedanke sein mochte, hatte Terri irgendwie die fixe Idee, für Jennifer verantwortlich zu sein. Sie wusste nicht, wieso sie das dachte, doch so war es nun mal, und es sollte mit dem Teufel zugehen, wenn sie den Fall einfach weiterreichte und, soweit es sie betraf, zu den Akten legte.
    Voller widerstreitender Gefühle, was sie tun sollte, tippte sie eine E-Mail mit einer Kurzmitteilung an ihren Chef, mit Kopie an ihren Schichtleiter:
Hinweise verdichten sich, dass es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Fall einer Ausreißerin handelt. Weitere Ermittlungen erforderlich. Möglicherweise Entführungssituation. Halte Sie mit weiteren Einzelheiten auf dem Laufenden. Neuerliche Einschätzung zugesichert.
    Sie unterschrieb mit ihrem Namen und wollte die E-Mail gerade verschicken, überlegte es sich aber anders. Sie wollte den Chef nicht alarmieren, jedenfalls im Moment noch nicht. Außerdem war sie besorgt, dass irgendwelche Informationen an die örtliche Presse durchsickern könnten, denn dann würde im nächsten Moment jeder Fernsehsender, Reporter und Crime-Blog-Fanatiker draußen vor dem Revier herumlungern, Interviews und neueste Stellungnahmen verlangen und sie daran hindern, ihre Arbeit zu tun – zum Beispiel, Jennifer zurückzubringen. Falls es noch möglich war.
    Sie hielt einen Moment inne und dachte an all die Websites für entführte oder vermisste Kinder, an Schlagzeilen oder Fernsehsendungen,
und das alles bewirkte nichts Gutes
. Terri holte tief Luft.
In der Regel nicht. Manchmal allerdings …
Sie verfolgte den Gedanken nicht weiter. Es half nicht, in Spekulationen zu verfallen, bevor sie nicht mit Sicherheit wusste,
     womit sie es zu tun hatte.
    Sie tilgte »möglicherweise Entführungssituation« aus ihrer E-Mail. Sie wusste, dass sie etwas Konkretes finden musste. Sie wusste, wie die erste Frage des Chefs lauten würde:
Woher nehmen Sie die Gewissheit?
    Es gab noch eine Menge Arbeit am Computer. Sie brauchte die spärlichen Anhaltspunkte, um sie mit anderen Verbrechen abzugleichen, um zu sehen, ob es irgendwo Überschneidungen gab. Sie musste sämtliche Sexualstraftäter innerhalb des abgesteckten Dreiecks gründlich überprüfen. Sie musste nach Berichten von sexuellen Übergriffen suchen, bei denen die Täter noch nicht identifiziert waren. Hatte es in letzter Zeit einen falschen Alarm gegeben? Hatten irgendwelche Eltern in irgendeinem

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