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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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als drohte er ihm aus den Fingern zu gleiten, und ihn dabei zerknüllte. Er machte einen Schritt zurück. Ihm hallten seltsame Laute durch den Kopf – nicht die vertrauten Stimmen, sondern ein Geräusch, wie wenn jemand Papier oder Metall zerreißt. Er fühlte sich innerlich leer, als nagte der Hunger an seinem Magen, auch wenn er an nichts Essbares denken konnte, das ihm jetzt schmecken würde. Seine Armmuskeln spannten sich an, sein Rücken tat weh, als hätte er sich zu lange in einer bestimmten Position vorgebeugt oder an einem heißen Tag überanstrengt. Er missachtete das Bedürfnis nach Ruhe. Er
konnte
nicht aufhören, er
durfte
keine Pause einlegen, keinen Moment die Augen schließen, denn dann würde ihm Jennifer unwiderruflich entgleiten.
    Jennifer war genau wie all die Halluzinationen in seinem Leben. Sie hatte einmal existiert, und jetzt musste er alles daransetzen, dass sie nicht verblasste. Sie war immer noch real, aber nur so gerade eben, und alles, was ihm dabei half, ihr Substanz zu verleihen, unterstützte ihn darin, sie zu finden. Er wünschte sich, er hätte die rosa Baseballkappe nicht Jennifers Mutter gegeben. Sie wäre immerhin etwas, das er mit Händen greifen konnte. Er überlegte einen Moment, ob er wie ein Bluthund mit Hilfe der Kappe ihre Spur aufnehmen konnte, um ihr einfach zu folgen. Er atmete heftig. Ein überführter Sexualstraftäter, der mit Jennifers Familie in Verbindung stand. Das musste etwas bedeuten, er wusste nur nicht, was.
    »Professor Thomas?«
    Er würde allein hingehen.
    »Professor?«
    Er würde den Mann stellen. Ihn zwingen, ihm etwas zu erzählen, das ihm weiterhalf.
    »Professor Thomas!«
    Er wendete den Blick und merkte, dass er sich so fest an der Kante von Detective Collins’ Schreibtisch festhielt, dass seine Fingerknöchel weiß waren. »Ja?«
    »Alles in Ordnung mit Ihnen?«
    Terri sah, wie Adrians rotes Gesicht allmählich wieder seine normale Farbe annahm. Er holte tief Luft. »Wie bitte? Ist etwas …«
    »Allem Anschein nach waren Sie irgendwie weggetreten. Und dann sah es so aus, als wollten Sie meinen Schreibtisch hochheben oder so. Alles in Ordnung?«, wiederholte sie ihre Frage.
    »Ja«, sagte er. »Tut mir leid. Ist nur das Alter. Und diese neuen Medikamente, die ich neulich erwähnte.«
    Sie sah ihn an und hatte zweierlei Gedanken:
So alt ist er gar nicht
und
Das ist gelogen
.
    Adrian atmete langsam aus. »Es tut mir leid, Detective. Ich habe mich innerlich sehr auf diesen Fall mit dem vermissten Mädchen eingelassen. Jennifer. Er, ehm,
fasziniert
mich. Ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, dass meine Fachkenntnisse und meine Erfahrung in Psychologie dabei von Nutzen sein könnten. Ich verstehe, dass Sie sich an Ihre Vorschriften, an etablierte Verfahrensweisen halten müssen. In meiner beruflichen Arbeit war das auch einmal sehr wichtig. Wissen ohne erprobte Verfahrensweisen taugt häufig nichts, auch wenn es einem wertvoll erscheinen mag.«
    Dies klang schon wieder nach einem Vortrag, doch diesmal hatte sie kein Problem damit. Der alte Mann meinte es offenbar gut. Auch wenn er jedes Mal, wenn sie miteinander sprachen, für einige Zeit abdriftete. Und sie war sich ziemlich sicher, dass mehr dahintersteckte als Medikamente. Sie starrte Adrian an, als könnte sie mit einem eindringlichen Blick diagnostizieren, was ihn so unberechenbar machte.
    Er schien ihren Ausdruck anders zu verstehen und zuckte die Achseln. »Wenn Sie wollen, kann ich auch alleine weitermachen …«
    Genau das wollte sie nicht. »Sie sollten Kriminalfälle der Kripo überlassen.«
    Adrian schmunzelte. »Selbstverständlich. Doch aus meiner Sicht entzieht sich dieser Fall der üblichen Methodik der Polizei.«
    »Wie bitte?«
    »Detective«, sagte Adrian, »Sie versuchen immer noch herauszubekommen, was für ein Verbrechen hier stattgefunden hat, damit Sie es einer Kategorie zuordnen und dann wiederum nach den gängigen Regeln ermitteln können. Ich unterliege keinen solchen Zwängen. Ich
weiß,
was ich gesehen habe. Ich habe außerdem mein Leben lang definierbare Reaktionen bei Mensch und Tier studiert. Daher überrascht mich auch Ihre gegenwärtige Reaktion nicht allzu sehr.«
    Terri war einen Moment lang sprachlos.
    »Wahrscheinlich war es naiv von mir, anzunehmen, die Polizei würde irgendetwas tun«, fuhr Adrian fort. Terri ließ ihn, während er sprach, nicht aus den Augen. Sie konnte nicht begreifen, wie der Professor einen Moment vollkommen ausgeglichen,

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