Der Profi
etwas, was kaum zu verstehen war.
Nach einer Weile fragte Valls: »Hast du was?«
»Nein!«
»Ich frage nur, weil ich den Eindruck habe, dass du nicht besonders gut drauf bist.«
»Woher willst du das wissen? Du kennst mich doch überhaupt nicht.«
»Für so was hab ich ein Auge. Falls du dich aussprechen willst, ich bin ein guter Zuhörer, aber ich kann auch schnell wieder vergessen, was man mir erzählt hat.«
Auf einmal standen sie vor El Viajero. Valls öffnete die Tür. Die Bar war prallvoll. Sie suchten eine freie Ecke am Ende des Lokals.
»Du hast gesagt, wir würden uns hier mit mehreren Leuten treffen?«, fragte Cruz.
»Stimmt. Die kommen gleich. Ich hatte schon vermutet, dass du Lust hast zu reden.«
»Über den Fall?«
»Nein, das heben wir uns für Montag auf. Über dich … Darauf zielte meine Bemerkung von vorhin. Schau mich jetzt bitte nicht so an! Mich interessiert einfach, mit wem ich zusammenarbeite. Ist doch verständlich. Man hat mir von dem Jungen erzählt, den du erschossen hast …«
Cruz fühlte sich wie erschlagen.
»Manchmal spüre ich, dass du irgendwie abwesend bist. So was merk ich ganz intuitiv. Vielleicht bin ich nicht besonders diskret. Das passiert uns Schwulen häufiger …«, erklärte Román Valls mit einem Augenzwinkern.
»Aber vielleicht geht es dich auch einfach nichts an!«
»Ja, kann sein. Um die Wahrheit zu sagen, ich habe den Eindruck, du bist ziemlich am Boden. Übrigens, deine abweisende Haltung kränkt mich ganz und gar nicht, und wenn du’s für dich behalten willst, ist das völlig okay!«
»Der Junge, von dem du sprichst, hatte in einem Lagerhaus einen Diebstahl begangen. Als ich ihm befahl stehen zu bleiben, eröffnete einer seiner Kumpels das Feuer auf mich. Später hieß es, ich hätte aus Notwehr gehandelt.«
»Ja, das habe ich gehört. Ich hoffe, du bist inzwischen darüber hinweg …«
Cruz’ Blicke schweiften eine Weile über die Bierlache auf dem Marmortisch vor ihr.
»Ganz und gar nicht. Ich hatte meine Dienstwaffe noch nie vorher eingesetzt und erst recht nicht gegen Menschen!«
Sie machte eine kurze Pause.
»Keine Ahnung, wann ich die Geschichte endlich aus dem Kopf kriege. Nachts erwache ich immer aus dem gleichen Albtraum. Was soll’s: Irgendwann werde ich es schon vergessen!«
»Vergessen nicht. Aber du wirst, wie wir alle, lernen, damit zu leben …«
Cruz kaute an ihren gebratenen Schweinelenden-Tapas herum. Sie hatte noch nie mit jemandem über die Angelegenheit gesprochen, aber Román Valls flößte ihr ein Vertrauen ein, das sie selbst überraschte. Sie fühlte sich müde. Müde von den vielen Zweifeln und davon, jeden Morgen aufs Neue nach einer Ausrede für das, was sie tat, suchen zu müssen.
»Hast du dich jemals gefragt, weshalb du diesen Job machst, Román?«
»Genau das ist dein Problem, Cruz! Du denkst zu viel. Und wer zu viel denkt, schafft sich damit über kurz oder lang nur Probleme.«
»Was du nicht sagst!«
»Und ich sag dir noch was. Wir werden schlecht bezahlt, die Justiz lässt die gleichen schrägen Vögel, die wir ein ums andere Mal einlochen, zum Schluss immer wieder frei, und unsere beruflichen Karriereaussichten sind, um es gelinde auszudrücken, ziemlich kärglich! Wenn’s ganz dumm läuft, endest du mit einer Kugel im Bauch oder mit einer Rente, bei der einem schlecht werden könnte. Hör auf meinen Rat, Kollegin! Über unseren Beruf nachzudenken ist kontraproduktiv …«
Nachdenken. Träumen. Jede Nacht aufs Neue auf schrecken. Und warum das alles? Weil ihr Vater einmal über einen baskischen Polizeikommissar geflucht hatte, der gerade ermordet worden war und zwei Mädchen als Waisenkinder hinterließ? Weil er dessen Mördern Unterschlupf gewährt hatte? War sie deshalb Polizistin geworden, oder weil sie an das, was sie tat, wirklich glaubte?
»Es ist alles so kompliziert! Manchmal fühle ich mich wie ein Jongleur, der zu viele Bälle gleichzeitig in der Luft zu halten versucht.«
»Dann lass doch einen fallen!«
»Leichter gesagt als getan«, antwortete Cruz. »Um dir die Wahrheit zu sagen: Ich weiß selbst noch immer nicht so genau, was ich eigentlich will!«
»Beispielsweise könntest du damit beginnen, deine selbstzerstörerischen Tendenzen zu überwinden …«
»Hui, hui, hui … Román Valls, der Psychologe!«
»Gar nicht. Um zu merken, was mit dir los ist, braucht man lediglich zwei Augen im Gesicht.«
»Und, was ist mit mir los, mmh?«
»Du hast dich noch nicht so akzeptiert, wie
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